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bezüglichen Bestimmungen der Justizgesetze alsbald in Kraft gesetzt wissen wollte.
Daß der Bundesrat diesem Vorschlage beitreten werde, erschien jedoch nach den
Erklärungen seiner Kommissare zum mindesten sehr zweifelhaft, und es war
mithin anzunehmen, daß wiederholt eine Anwendung der preußischen Gesetze
analog dem Fall Kantecki und gegen das Prinzip der Reichsfustizgesetze bis
zu deren Einführung (1. Oktober 1879) erfolgte. In der That lehnte dann
auch der Bundesrat am 29. Mai 1877 den vom Reichstag beschlossenen Gesetz-
entwurf bezüglich des Zeugniszwangs, nach welchem die Maximaldauer der
Zeugniszwangshaft von sechs Wochen resp. sechs Monaten aus dem am
1. Oktober 1879 in Kraft tretenden Strafprozeßgesetze anticipirt werden sollte,
dem Ausschußantrage 1) entsprechend mit allen gegen eine Stimme ab. Als
Referent fungirte im Plenum der sächsische Bevollmächtigte Geheime Justiz-
rat Held.
Revision der Aktiengesetzgebung. In der Sitzung des Bundes-
rats vom 23. November 1876 brachte Preußen einen hierauf bezüglichen,
von einer Denkschrift begleiteten Antrag ein.2) In der Vorlage war darauf
hingewiesen, daß allerdings im Jahre 1874 die Frage, ob eine Aenderung der
Altiengesetzgebung bis zur Revision des Handelsgesetzbuchs zu vertagen sei, im
Bundesrat bejaht wurde. Inzwischen aber — so war ausgeführt — habe es
sich als dringlich herausgestellt, eine Reform der Aktiengesetzgebung baldigst in
Angriff zu nehmen. Wenn auch der gegenwärtig auf den wirtschaftlichen Ver-
hältnissen lastende Druck augenblicklich ein Wiederaufblühen des Aktien= und
Gründungsschwindels nicht besorgen lasse, so müsse man doch darauf gefaßt
sein, daß bei einer Besserung der wirtschaftlichen Zustände auch dem Unter-
nehmungsgeiste wieder zu den früheren oder ähnlichen Ausschreitungen neue
Versuchung oder neue Gelegenheit gegeben sein werde. Hiergegen aber die
erforderlichen Schranken und Garantien aufzurichten, soweit dies mittelst Gesetz
überhaupt möglich sei, werde nicht erst dem Augenblick überlassen werden dürfen,
in welchem die Wendung sich vollziehen und die neuen Bestimmungen sich
praktisch wirksam erweisen sollen. Geschähe dies, so würde die öffentliche
Meinung die Uebelstände, welche bei einem Aufleben des Verkehrs auf dem
Gebiete des Aktienwesens sich wiederholen oder neu auftreten können, im
weitesten Umfange der Unterlassung zur Last legen und für diese in erster Linie
die Regierungen verantwortlich machen. Daher stellte Preußen den Antrag: „Der
Bundesrat wolle seine Zustimmung erteilen: daß unabhängig von der Revision
des Handelsgesetzbuchs und unbeschadet der mit dieser demnächst zu verbindenden
1) Im Ausschuß war der auf die Ablehnung hinzielende Beschluß mit Einstimmigkeit
gefaßt worden. Vgl. „Nordd. Allg. Ztg.“ Nr. 129 v. 30. 5. 77.
2) Zu vgl. den Artikel „Das Gründerwesen und das Aktiengesetz“ in der „Prov.=
Korresp.“ Nr. 48. v. 29. 11. 76.