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Es wurde sodann auf Grund jenes Staatsvertrags die Berechtigung des
preußischen Vorschlags detaillirt und der sächsische Vorschlag als unberechtigt
zurückgewiesen und schließlich beantragt: „Der Bundesrat wolle die zwischen
beiden Staaten bestehende Streitigkeit auf Grund des Artikels 76 der Reichs-
verfassung dadurch zur Erledigung bringen, daß die Verpflichtung der sächsischen
Regierung festgestellt wird, zu dem von der preußischen Regierung mit der
Berlin-Dresdener Eisenbahngesellschaft unter dem 5. Februar 1877 vereinbarten
Vertrage mit der Maßgabe ihre Zustimmung zu erteilen, daß die ihr nach
dem Staatsvertrage vom 6. Juli 1872 zustehenden Rechte nicht geschmälert
werden.“ 1)
Der Ausschuß beantragte die Verweisung der Angelegenheit an eine
Austrägalinstanz, und zwar an das Ober-Appellationsgericht zu Lübeck. Der
Bundesrat trat am 16. März 1877 diesem Antrag bei. Der betreffende
Beschluß lautete wörtlich dahin: „Die Erledigung der zwischen den Königlichen
Regierungen von Preußen und Sachsen beziehungsweise der Berlin-Dresdener
Eisenbahn bestehenden Streitigkeit dadurch herbeizuführen, daß das gemeinschaft-
liche Ober-Appellationsgericht der drei freien und Hansestädte in Lübeck ersucht
werde, einen Schiedsspruch über die obwaltende Streitigkeit zu fällen, und
beide Königliche Regierungen verpflichtet erklärt werden, sich dem ergehenden
Schiedsspruch zu unterwerfen.“ Man war darüber einverstanden, daß es dem
Ober-Appellationsgericht in Lübeck überlassen bleibe, zur Vervollständigung des
Materials weitere Verhandlungen einzuleiten. Der württembergische Be-
vollmächtigte äußerte sich dahin, daß der vorliegende Antrag der preußischen
Staatsregierung und die hierüber stattfindenden Verhandlungen geeignet
erscheinen, das Bedürfnis einer bestimmteren Regelung der Frage über die Er-
ledigung von Streitigkeiten zwischen verschiedenen Bundesstaaten, soweit dieselben
nicht privatrechtlicher Natur und daher von den Gerichten zu entscheiden seien,
zu beweisen, und daß daher die Einleitung hierzu geeigneter Schritte wünschens-
wert sei.
Der Schiedsspruch ist aus Lübeck vom 28. Juni 1877 datirt und lautet
dahin: daß die Königlich sächsische Regierung für verpflichtet zu erachten sei,
zu dem von der Königlich preußischen Regierung mit der Berlin-Dresdener
Eisenbahngesellschaft unter dem 5. Februar d. J. vereinbarten Vertrag ihre
Zustimmung zu erteilen, jedoch mit der Maßgabe, daß die ihr nach dem Staats-
vertrage vom 6. Juli 1872 zustehenden Rechte nicht geschmälert werden, und
insonderheit der § 12 des Vertrags vom 5. Februar d. J. der Königlich
sächsischen Regierung gegenüber nicht in Wirksamkeit trete. Der § 12 des
zwischen der Königlich preußischen Staatsregierung und der Berlin-Dresdener
1) Vgl. besonders den Artikel der „Nat.-Ztg.“: „Das Dresdener Journal und der
Artikel 76“ in Nr. 127 v. 16. 3. 77.
Poschinger, Fürst Bismarck und der Bundesrat. III. 22