Full text: Fürst Bismarck und der Bundesrat. Dritter Band. Der Bundesrat des Deutschen Reichs (1873-1878). (3)

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abgaben, das so verwässert war, daß es niemand befriedigte, die Freihändler 
nicht, weil es ihrem Prinzipe „Hilf dir selbst“ ins Gesicht schlug, die Schutz- 
zöllner nicht, die darin mit Bismarck nur eine schwache „Abschlagszahlung“ 
erblicken konnten. Zum Glück nähern wir uns jetzt dem Zeitpunkt, da Bismarck 
den Kampf gegen die Schulmeinung auf wirtschaftlichem Gebiet aufnahm. Noch 
wurden freilich seine Vorschläge von den Kollegen im Staatsministerium halb 
scherzend halb verächtlich beiseite geschoben. In einer Sache blieben siebzehn, 
sage siebzehn Erinnerungsschreiben Bismarcks ohne Antwort. Durch rücksichtsloses 
Zu-den-Akten-schreiben, hoffte man den lästigen Projektenmacher zu ermüden. 
Noch hatte Bismarck in den Fragen der inneren und speziell der Wirt— 
schaftspolitik nicht die willigen Gehilfen gefunden, wie ihm auf politischem 
Gebiet die zwingende Gewalt der Dinge und ein nie erloschenes Sehnen der 
Deutschen nach Einheit zugeführt hatte. 
Auffallend und bezeichnend war, wie wenig die wirtschaftlich Notleidenden 
sich in jener Zeit an den Bundesrat wandten. Zur Zeit der Zolltarifreform 
und ebenso nachher wurde der Bundesrat mit Petitionen von Industriellen 
aller Art und von Landwirten förmlich überschüttet. Drei Jahre vorher schien 
es ihnen gar nicht zum Bewußtsein gekommen zu sein, daß der Bundesrat auch 
ein Faktor in der Gesetzgebung sei, der ebenso gut wie der Reichstag oder die 
einzelnen Bundesregierungen in der Lage war, ihren Beschwerden abzuhelfen. 
Auf dem Gebiete des Eisenbahnwesens war die Aktion des Bundesrats 
von keiner Bedeutung; dagegen förderte er den Plan Bismarcks, das Reich 
durch Ausbildung der Stempelsteuergesetzgebung mehr auf eigene Füße zu stellen, 
durch Veranstaltung einer bezüglichen Enquête. 
Bereits seit längerer Zeit hatte der Reichstag die Gewohnheit angenommen, 
Vorlagen der verbündeten Regierungen, die nicht nach seinem Geschmack waren, 
einfach unter den Tisch zu werfen, ich meine, nicht einmal in eine erste Beratung 
derselben einzutreten. Dies Schicksal erlebten die Gesetzentwürfe über die Ein- 
führung der Ausgleichungsabgaben und über die Untersuchung von See-Unfällen 
bei ihrer erstmaligen Einbringung an den Reichstag. 
Der Bundesrat verwarf umgekehrt nur das vom Reichstag aus Anlaß 
des Falles Kantecki beschlossene Notgesetz über den Zeugniszwang und den 
Antrag auf Gewährung von Diäten an die Mitglieder des Reichstags. 
Eigentlich hätte die Majorität des Reichstags schon längst wissen müssen, daß 
sie mit diesem Antrag bei dem Bundesrat — mochte sein Vorsitzender Bismarck 
oder Caprivi oder wie sonst heißen — nicht durchdringen werde. Die immer 
wiederkehrende Einbringung des Antrags konnte also nur als ein Agitations- 
mittel angesehen werden; kehrte sie noch häufig wieder, so lohnte es sich für 
den Bundesrat, für dessen Ablehnung ein eigenes Formular zu entwerfen. 
 
	        
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