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abgaben, das so verwässert war, daß es niemand befriedigte, die Freihändler
nicht, weil es ihrem Prinzipe „Hilf dir selbst“ ins Gesicht schlug, die Schutz-
zöllner nicht, die darin mit Bismarck nur eine schwache „Abschlagszahlung“
erblicken konnten. Zum Glück nähern wir uns jetzt dem Zeitpunkt, da Bismarck
den Kampf gegen die Schulmeinung auf wirtschaftlichem Gebiet aufnahm. Noch
wurden freilich seine Vorschläge von den Kollegen im Staatsministerium halb
scherzend halb verächtlich beiseite geschoben. In einer Sache blieben siebzehn,
sage siebzehn Erinnerungsschreiben Bismarcks ohne Antwort. Durch rücksichtsloses
Zu-den-Akten-schreiben, hoffte man den lästigen Projektenmacher zu ermüden.
Noch hatte Bismarck in den Fragen der inneren und speziell der Wirt—
schaftspolitik nicht die willigen Gehilfen gefunden, wie ihm auf politischem
Gebiet die zwingende Gewalt der Dinge und ein nie erloschenes Sehnen der
Deutschen nach Einheit zugeführt hatte.
Auffallend und bezeichnend war, wie wenig die wirtschaftlich Notleidenden
sich in jener Zeit an den Bundesrat wandten. Zur Zeit der Zolltarifreform
und ebenso nachher wurde der Bundesrat mit Petitionen von Industriellen
aller Art und von Landwirten förmlich überschüttet. Drei Jahre vorher schien
es ihnen gar nicht zum Bewußtsein gekommen zu sein, daß der Bundesrat auch
ein Faktor in der Gesetzgebung sei, der ebenso gut wie der Reichstag oder die
einzelnen Bundesregierungen in der Lage war, ihren Beschwerden abzuhelfen.
Auf dem Gebiete des Eisenbahnwesens war die Aktion des Bundesrats
von keiner Bedeutung; dagegen förderte er den Plan Bismarcks, das Reich
durch Ausbildung der Stempelsteuergesetzgebung mehr auf eigene Füße zu stellen,
durch Veranstaltung einer bezüglichen Enquête.
Bereits seit längerer Zeit hatte der Reichstag die Gewohnheit angenommen,
Vorlagen der verbündeten Regierungen, die nicht nach seinem Geschmack waren,
einfach unter den Tisch zu werfen, ich meine, nicht einmal in eine erste Beratung
derselben einzutreten. Dies Schicksal erlebten die Gesetzentwürfe über die Ein-
führung der Ausgleichungsabgaben und über die Untersuchung von See-Unfällen
bei ihrer erstmaligen Einbringung an den Reichstag.
Der Bundesrat verwarf umgekehrt nur das vom Reichstag aus Anlaß
des Falles Kantecki beschlossene Notgesetz über den Zeugniszwang und den
Antrag auf Gewährung von Diäten an die Mitglieder des Reichstags.
Eigentlich hätte die Majorität des Reichstags schon längst wissen müssen, daß
sie mit diesem Antrag bei dem Bundesrat — mochte sein Vorsitzender Bismarck
oder Caprivi oder wie sonst heißen — nicht durchdringen werde. Die immer
wiederkehrende Einbringung des Antrags konnte also nur als ein Agitations-
mittel angesehen werden; kehrte sie noch häufig wieder, so lohnte es sich für
den Bundesrat, für dessen Ablehnung ein eigenes Formular zu entwerfen.