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Der Kuriosität halber sei erwähnt, daß ein sächsisches ministerielles Blatt,
die „Leipziger Zeitung“, im Januar 1878, da der Ausbau der Reichsverfassung
vielfach ventilirt wurde, in allem Ernste die Umwandlung des Bundesrats in
ein Staatenhaus befürwortete. Unter dem Titel „Die Aenderungen im Reichs-
verfassungswerke“ besprach das ministerielle Blatt die auf diesen Punkt be-
züglichen publizistischen Kundgebungen der Parteiblätter. Der Artikel der
„Nat.-Ztg.“, welcher für preußisch-deutsche Doppelminister plaidirte, fand den
Beifall des Blattes nicht, da er einerseits eine unbegrenzte Omnipotenz des
Reichskanzlers befürworte, und da andererseits die in ihm gebrachten Vor-
schläge nur nach durchgreifenden Veränderungen der Reichsverfassung und
Reichsgesetzgebung zu realisiren seien. Das Bedürfnis aber einer Veränderung
resp. Verbesserung wurde im weiteren anerkannt und bedauert, daß so wenige
diesbezügliche positive Vorschläge von der Tagespresse ausgegangen seien. Als
denjenigen Vorschlag, der am meisten Beachtung verdiene, bezeichnete das offiziöse
Blatt einen kürzlich in der „Leipziger Volksztg.“ erschienenen Artikel. Derselbe
befürwortete eine Neugestaltung des Bundesrates zum Deutschen Staatenhaus
durch Hinzuziehung von Delegirten der Landtage, und zwar sollten die Einzel-
staaten ebensoviel Landtagsdeputirte entsenden, als ihnen im Bundesrat Stimmen
zustehen. Der also volkstümlich ergänzte Bundesrat würde frisches Leben in
die Schlaffheit unserer inneren Politik bringen. Diesen Vorschlägen der „Leipziger
Volksztg.“ gegenüber äußerte sich die „Leipziger Zeitung“ beifällig und kam zu
folgendem Schluß: „Der deutschen Verfassung fehlt in ihrem parlamentarischen
Organismus ein Körper, in welchem der Einzelstaat als organisches Glied des
Ganzen zur repräsentativen Erscheinung gelange, ähnlich wie es die Ver-
einigten Staaten in ihrem, bekanntlich nicht allein mit legislatorischer Kompetenz
sondern auch mit weitgehenden Befugnissen der vollziehenden Gewalt aus-
gestatteten Senat besitzen, welcher, wie bekannt, derart sich zusammensetzt, daß
jeder der achtunddreißig Staaten, welche dermalen die Union bilden, in dieser
Eigenschaft zwei Vertreter in denselben sendet. Eine ähnliche Einrichtung war
auch in der sogenannten Dreikönigsverfassung von 1849 vorgesehen, insofern
nach dieser der Reichstag aus einem Staatenhaus, gebildet aus Vertretern der
deutschen Staaten, welche zur Hälfte durch die Regierung und zur Hälfte durch
die Volksvertretung der betreffenden Staaten ernannt werden sollten, und aus
einem aus allgemeinen Wahlen hervorgegangenen Volkshause bestehen sollte."“
Ueber den Begriff der „Session des Bundesrats“ kursirten in den Zeitungen
verschiedene Auffassungen. Demgegenüber sah sich die „Nordd. Allg. Ztg.“"
zweimal veranlaßt, das Wort zu ergreifen. In einem ersten Entrefilet 1) be-
merkte dieselbe, „daß die Sessionsperiode des Bundesrats in Wirklichkeit erst mit
dem Tage schließt, an welchem derselbe zu einer neuen Session zusammentritt.
1) Nr. 226 v. 26. 9. 77.