Full text: Fürst Bismarck und der Bundesrat. Dritter Band. Der Bundesrat des Deutschen Reichs (1873-1878). (3)

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verstanden: Der Kanzler könne nur dann im. Dienste bleiben, wenn seine 
Kollegen zu den großen wirtschaftlichen Reformen, die er im Kopfe trage, aus 
eigenem Antriebe und mit eigenen produktiven Kräften schritten; wenn nicht, 
wolle er gehen, da er sich nicht stark genug fühle, um Ministerkrisen, den Bruch 
mit seinen alten Kollegen und das Einleben mit neuen zu vertragen. Es sei 
ein unbilliges Verlangen, daß er selbst die nötige Arbeit liefere und sie der 
Kritik eines in entgegengesetzten Spuren (soll doch wohl vor allen anderen 
Dingen heißen: im Geleise der Manchesterschule) gehenden Ressortministers unter- 
werfe. Auch der Klagen über den Mangel einer sicheren gouvernementalen 
Majorität im Reichstage wurde in jener Periode, wo alle Welt über die De- 
mission sich klar zu machen suchte, wieder gedacht und in solchem Mangel ein 
wesentliches Motiv des Rücktritts gefunden. Man erinnerte sich insbesondere 
gewisser strengen Urteile des Kanzlers über einige hervorragende Führer der 
nationalliberalen Partei, die, indem sie allgemein als seine Stützen angesehen 
würden, doch fortwährend ihm Knüppel zwischen die Räder seines Wagens 
würfen. Dann kamen die Hofintriguen zur Sprache, über die der Fürst im 
vertraulichen Verkehr oft höchst interessante Dinge zum besten gegeben. Wesentlich 
schienen es aber doch die Friktionen mit seinen Kollegen zu sein, die ihm das 
Weiterregieren verleideten. Für das zu erlegende Hochwild, d. h. für die Durch- 
führung von großen Reformen, vermißte er die geeigneten Gehilfen, an der 
Passivität anderer, wie an deren aktivem Widerstande drohten seine eigenen 
Kräfte zu Grunde zu gehen. Die Friktionen hatten nicht bloß in den Per- 
sönlichkeiten ihren Grund, sondern lagen zum Teil in der Natur der Sache, 
in der staatsrechtlichen Stellung der Minister zu einander, in dem „Parti- 
kularismus“, wie der Fürst sich einmal ausdrückte, der selbständigen Ressort- 
interessen. Ihm schwebt ein anderes Ideal vor. Er verlangt die freie Verfügung 
über die Ministerstellen und die alleinige Verantwortlichkeit für sich, d. h. für 
den Premier in Preußen und im Reiche. Die Krone soll die Besetzung der 
einzelnen Ministerposten prinzipiell dem Manne ihres Vertrauens oder der Partei, 
welche er ans Ruder ruft, anheimgeben, damit ihr, der Krone, die unerfreulichen 
Schiedssprüche zwischen mißhelligen Kollegen erspart bleiben, damit sodann mit 
der alleinigen Verantwortlichkeit des Kanzlers nach englischem Muster die 
Friktionen fortfallen, die die Staatsmaschine unaufhörlich im Gange stören.“ 
Bei einer Prüfung, wie weit diese Motive Ende 1877 die Rückkehr 
Bismarcks von Varzin noch weiter verzögerten, schied der Verfasser des oben 
erwähnten Artikels zunächst die Theorien des Kanzlers von der Cntwicklung 
unserer öffentlichen Institutionen, namentlich von der obersten Verwaltung des 
Reiches und des Partikularstaates Preußen aus. „Fürst Bismarck hat auch in 
sein staatsrechtliches System die „Ausstattung der Kaiserlichen Würde mit einer 
wenigstens annähernd entsprechenden Machtbefugnis'“ aufgenommen. Gegen- 
wärtig ist der Kaiser lediglich ausführendes Organ der Beschlüsse des Bundes-
	        
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