— 353 —
Aufgabe der Vermittlung zu. Bismarck ließ aber seinen Widerspruch endlich
fallen, nicht aus Ueberzeugung von der Richtigkeit von Camphausens Auffassung,
sondern weil ihm in diesem Augenblick eine Erschütterung des Bestandes des
Ministeriums unerwünscht, auch zu langem Ueberlegen und Ueberreden keine
Zeit war. Am 23. Oktober 1876 beschäftigte die Frage den Ministerrat, und
hier gelang es noch einmal der klaren und überzeugungstreuen Darlegung
Camphausens, allen Widerspruch zu beseitigen und zu dem einmütigen Beschluß
zu führen: Seiner Majestät im Conseil von jedem Eingehen auf die Verlängerung
der Eisenzölle abzuraten. So geschah es; die Minister waren am folgenden Tage
im Conseil völlig übereinstimmend, und der Kaiser fügte sich nicht bloß dieser
Einstimmigkeit, sondern auch den Gründen derselben. Die Sache war damit
entschieden und sie konnte nur in andere Bahnen kommen, wenn der Reichstag
sich dringend für die Verlängerung der Eisenzölle verwenden sollte, woran nach
Lage der Verhältnisse nicht zu denken war.
Trotz dieser festen Haltung Camphausens in Sachen der Eisenzölle war
derselbe nach dem Abgang Delbrücks nicht mehr der Alte. Was keinem andern
gelungen wäre, Bismarck brachte es zu stande, den Finanzminister mehr oder
minder davon zu überzeugen, daß es in der allgemeinen Handelspolitik mit
dem bisherigen System nicht weitergehen, daß Deutschland nicht bis ans Ende
der Welt einseitige Freihandelspolitik treiben könne, daß man mit den realen
Verhältnissen rechnen müsse und daß man die heimatliche Industrie nicht völlig
schutzlos lassen dürfe. Bismarck verlangte in dieser Zeit anfangs noch lange
kein förmliches Schutzzollsystem, er wollte nur nicht den isolirten Handelsstaat
eines Philosophen, er wollte die goldene Mitte zwischen dem extravaganten
Manchestertum und dem Prohibitivzoll, vor allem keine vollständige Vernichtung
der zunächst beteiligten deutschen Eisenindustrie. Von Agrarzöllen war damals
noch mit keinem Wort die Rede, auch beschränkte sich der Kanzler darauf, dem
Ressortminister die allgemeinen Ziele seiner Reformpolitik anzudeuten; in Bezug
auf die Frage, wie die Umkehr einzuleiten sei, wollte er demselben in keiner
Weise vorgreifen oder gar Vorschriften machen.
In einem Schreiben vom 13. Februar 18771) verlangte Bismarck schon
bestimmt die Einführung von Schutzzöllen für die wichtigsten Erzeugnisse der
deutschen Industrie. Camphausen sprach die Bereitwilligkeit aus, im Sinne
Bismarcks legislatorisch vorzugehen; der Schritt, zu dem er sich entschloß, war
allerdings kein großer, Bismarcks Zielen lange nicht entsprechend, es war aber
doch immerhin etwas, wenn er Ausgleichungsabgaben eingeführt wissen wollte,
um die Eisen= und Zuckerindustrie gegen das vom Auslande bewilligte System
von Ausfuhrprämien (aquits à caution) zu schützen, und wenn er den Reichstag
bat, in der Frage der Handelspolitik die nationale Seiten der deutschen Stellung
1) Aktenstücke Bd. I. S. 247.
Poschinger, Fürst Bismarck und der Bundesrat. III. 23