Full text: Fürst Bismarck und der Bundesrat. Dritter Band. Der Bundesrat des Deutschen Reichs (1873-1878). (3)

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während der Zeit, in der der greise Monarch an den von Meuchlerhand bei— 
gebrachten Wunden darniederlag. 
Graf Stolberg war Minister ohne Portefeuille im Reich und in Preußen; 
diese beiden Funktionen werden also bei der folgenden Untersuchung auseinander 
zu halten sein. 
J. Beginnen wir mit seiner Thätigkeit in Preußen, woselbst er die Stellung 
eines Staatsministers und diejenige des Vizepräsidenten des Staatsministeriums 
bekleidete, die seinerzeit von Bismarck zu seiner Entlastung für den Finanz- 
minister Camphausen geschaffen worden war. 
Die Stellung des Vizepräsidenten des preußischen Staatsministeriums ohne 
gleichzeitigen Besitz eines preußischen Ressortministeriums ist eine ziemlich einfluß- 
lose. Die Hauptaufgabe bestand in dem Vorsitz in den Staatsministerialsitzungen, 
wenn Bismarck abwesend war, und in der Leitung der Geschäfte des preußischen 
Staatsministeriums, einer aus einem Unterstaatssekretär und einigen vortragenden 
Räten gebildeten Behörde ohne eigene Verwaltung. 1) Auf den Gang der 
preußischen inneren Politik vermochte Stolberg also nur zu wirken durch Voten 
zu den Vorschlägen der einzelnen Ressortminister, durch Eingreifen bei den 
Ministerberatungen und im preußischen Landtag. Nun hielt sich Graf Stolberg 
aber von den Verhandlungen des Abgeordnetenhauses auf das äußerste 
zurück.2) 
Eine lebhaftere Thätigkeit entfaltete Graf Stolberg im Staatsministerium 
vermöge schriftlicher Stellungnahme zu den daselbst jeweils zur Verhandlung 
stehenden Fragen. Es kam ihm dabei zu statten, daß er im Juli 1878 als 
seinen Vertrauensmann den bisherigen Geheimen Regierungsrat und vortragenden 
1) Es unterstehen ihr die Königlichen Staatsarchive, auch der „Reichs= und Staats- 
anzeiger“ wird von einem Beamten des Staatsministeriums geleitet. Außerdem gehören zu 
dem Ressort des Königlichen Staatsministeriums noch: der Gerichtshof zur Entscheidung 
von Kompetenzkonflikten, der Disziplinarhof für nichtrichterliche Beamte, das Ober- 
verwaltungsgericht, die Prüfungskommission für höhere Verwaltungsbeamte, die Redaktion 
der Gesetzsammlung. Allein eine eigentliche politische Bedeutung hat diese Ressort- 
unterordnung praktisch absolut nicht. 
2) Am 19. November 1878 und 28. Oktober 1880 eröffnete Graf Stolberg den 
preußischen Landtag, am 23. Februar 1881 schloß er denselben; er sprach dann noch am 
3. Dezember 1878 über die Aenderungen in der Organisation der Staatsbehörden, ins- 
besondere der Ministerien (Uebertragung der Leitung des Ministeriums für Handel und 
Gewerbe an den Präsidenten des Reichskanzler-Amts), am 23. Januar 1879 zu dem An- 
trag des Abgeordneten Heeremann, betreffend den dem Bundesrat vorgelegten Gesetzentwurf 
in Bezug auf die Strafgewalt des Reichstags gegen seine Mitglieder, und am 20. No- 
vember 1880 zur Interpellation des Abgeordneten Dr. Hänel, betreffend die Agitation gegen 
die jüdischen Staatsbürger. Die letztere Erklärung hatte eine gewisse politische Bedeutung 
und war für Stolbergs maßvolle, besonnene und männlich vornehme Haltung unter den 
damaligen Verhältnissen charakteristisch.
	        
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