Full text: Fürst Bismarck und der Bundesrat. Dritter Band. Der Bundesrat des Deutschen Reichs (1873-1878). (3)

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Rat im Ministerium der geistlichen Angelegenheiten Bosse in die durch den 
Abgang Tiedemanns freigewordene Stellung eines vortragenden Rats im 
Staatsministerium berief. Bosse arbeitete für Stolberg eine erhebliche Zahl 
zum Teil sehr wichtiger Ministerialvoten aus. Es wird mir versichert, daß die 
Grundgedanken der späteren Reichsgesetzgebung zum Schutze der wirtschaftlich 
Schwachen (Kranken-, Unfall- und Invaliditätsversicherung) in Stolbergschen 
Staatsministerialvoten niedergelegt sind. 
II. Im Reich fungirten bei Stolbergs Eintritt in die Stelle des Vizekanzlers 
als Staatssekretäre die Herren Hofmann (Reichskanzler-Amt), v. Bülow (Aus- 
wärtiges Amt), v. Stosch (Marineverwaltung), Dr. Friedberg (Reichs-Justizamt) 
und der Unterstaatssekretär Herzog (im Reichskanzler-Amt für Elsaß-Lothringen). 
Stolberg bekam also nur dasjenige zu sehen, was ihm Bismarck oder die 
genannten Ressortchefs zur Erledigung vorlegten, und das war herzlich wenig. 
Kräfte zur Ausarbeitung von Reichssachen standen ihm in keiner Weise zu 
Gebote, und so kam es, daß seine Thätigkeit einen immer formelleren Charakter 
annahm. 
Wie unausgesprochen Stolbergs Stellung im Reich war, zeigte sich auch 
äußerlich daran, daß er im Handbuch für das Deutsche Reich an keiner Stelle 
als Vizekanzler figurirte. Er war nur an einer Stelle genannt, und zwar als 
preußischer Bevollmächtigter zum Bundesrat. Wollte Stolberg im Bundesrat 
einen Einfluß gewinnen, so mußte er vor allem den Kanzler ersuchen, statt 
Hofmann ihn mit der regelmäßigen Leitung des Bundesrats zu beauftragen. 
Dies ist aber unterblieben. Stolberg hat auch nicht in einer Sitzung des 
Bundesrats den Vorsitz geführt. Auch ergriff der Stellvertreter des Reichskanzlers 
im Reichstag vom Regierungstisch aus nur ein einzigesmal das Wort. 1) 
Als Stellvertreter des Kanzlers hätte Graf Stolberg-Wernigerode auch 
im Auswärtigen Amt thätig werden können. Bismarck scheint Stolberg aber 
für den laufenden Dienst des Auswärtigen Amts nicht herangezogen zu haben; 
so nahm derselbe an dem bald nach seinem Eintritt in das Ministerium 
eröffneten Berliner Kongreß keinen Anteil. Dagegen sandte ihn Bismarck am 
29. September 1879 nach Baden-Baden, um die Genehmigung des Keisers 
zu dem von Bismarck am 24. September in Wien unterzeichneten deutsch- 
österreichischen Entwurf eines Defensivvertrags zu erwirken.:) Nach der „Post“ 
ging am 9. Oktober 1879, dem Tage der Abreise Bismarcks nach Varzin, die 
obere Leitung des Auswärtigen Amts auf den Grafen Stolberg über. 
1) Am 16. September 1878 bei Beratung des Sozialistengesetzes. Stolberg eröffnete 
den Reichstag am 9. September 1878, 12. Februar 1880 und 15. Februar 1881 und 
schloß denselben am 10. Mai 1880. 
2) Rückkehr Stolbergs am 4. Oktober 1879. 7. Oktober 1879 Unterzeichnung des 
Bündnisvertrags in Wien.
	        
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