Full text: Fürst Bismarck und der Bundesrat. Dritter Band. Der Bundesrat des Deutschen Reichs (1873-1878). (3)

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Fassen wir alles zusammen, so kann man sagen, Bismarck sowohl wie 
Stolberg hatten sich bei der Ernennung des letzteren zum Vizepräsidenten des 
Staatsministeriums und Vizekanzler vergriffen. Bismarck erwartete von dem 
Eintritt Stolbergs in die Regierung eine Entlastung in Preußen und im Reich, 
eine nachhaltige Unterstützung in den Parlamenten, die Beseitigung der ihm 
von den Ministern und Staatssekretären bereiteten Friktionen, was alles nicht 
eintrat. Stolberg erwartete seinerseits Einfluß in Reich und Preußen, der ihm, 
mangels eines eigenen Ressorts, vielleicht auch durch die Eifersucht der Minister 
und Staatssekretäre, die zwischen sich und den Kanzler kein neues Glied ein— 
geschoben wissen wollten, völlig versagt blieb. 
So kann man sich denn höchstens darüber wundern, daß Stolberg so lange 
aushielt, wie er es that. Bereits im Herbst 1880 gab derselbe den dringenden 
Wunsch zu erkennen, aus dem Reichs- und Staatsdienste zurückzutreten, indem 
er betonte, daß seine Privatverhältnisse, namentlich neuere große Erwerbungen 
in Schlesien (die früher im Gräflich Renardschen Besitz befindlichen Waldungen) 
ihm dies zur Pflicht machten. Der Kaiser erklärte, nur ungern auf die Er— 
füllung des Wunsches einzugehen. Der bei dieser Gelegenheit zwischen Bismarck 
und seinem Stellvertreter 1) entstandene Briefwechsel lautet nach der Publikation 
von Horst Kohl im Bismarck-Jahrbuch: 
Wernigerode, 5. September 1880. 
„Ew. Durchlaucht wollen mir gütigst nachstehende Darlegung gestatten. 
Ew. Durchlaucht werden sich erinnern, daß der Entschluß, wieder in den un- 
mittelbaren öffentlichen Dienst einzutreten, mir seinerzeit sehr schwer geworden ist. 
Vor allem war es die Befürchtung, meinen eigenen Angelegenheiten mich zu 
sehr zu entfremden, welche meine Bedenken erweckte. Ich habe diese Bedenken 
demnächst zurücktreten lassen und bin nunmehr seit 4½ Jahren wieder im Reichs- 
beziehungsweise Staatsdienst. In den beiden letzten Jahren habe ich mich 
zwar mit Allerhöchster Genehmigung längere Zeit in Wernigerode aufhalten 
können, aber diese Zeit hat gerade hingereicht, um mir klar werden zu lassen, 
wie sehr die unvermeidliche Gebundenheit einer amtlichen Stellung mich von 
meinen eigenen Angelegenheiten abzieht. Daher ist das Bedürfnis nach Wieder- 
erlangung der Freiheit ein immer lebhafteres geworden und jetzt auf den Punkt 
gestiegen, daß ich den allerdringendsten Wunsch habe, meine Staatsämter wieder 
aufzugeben. Das gütige Wohlwollen, mit welchem Ew. Durchlaucht mich 
fortgesetzt beehrt haben, läßt es mir als Pflicht erscheinen, Hochdenselben 
von meinen Gedanken vertrauliche Kenntnis zu geben, bevor ich irgend einen 
entscheidenden Schritt darin thue, und dies ist der Zweck des gegenwärtigen 
Schreibens. Meine amtlichen Leistungen schlage ich selbst äußerst gering an. 
1) Man nannte scherzweise Stolberg „Otto das Kind“ zum Unterschied von „Otto" 
Bismarck.
	        
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