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Aber dennoch wäre es immerhin möglich, daß Ew. Durchlaucht in der Aus-
führung meiner Absicht eine gewisse Personalverlegenheit erblicken könnten. Ich
würde dies aufrichtig bedauern, da mir nichts ferner liegt als die Absicht,
Ihnen Unbequemlichkeiten zu bereiten; aber ich glaube in der That nicht, daß
ernsthafte Verlegenheiten entstehen würden. Ganz abgesehen davon, daß ich mich
für sehr leicht ersetzbar halte, erlaube ich mir nur daran ergebenst zu erinnern,
wie ich Ew. Durchlaucht schon früher darlegte, daß nach meiner Erfahrung die
allgemeine Stellvertretung des Reichskanzlers zweckmäßigerweise dem Vorstande
eines obersten Reichsamts zu übertragen sein würde, welcher durch sein Amt
in die Lage gesetzt ist, die allgemeine Reichspolitik fortgesetzt im Zusammenhange
zu übersehen. Es bleibt dann meine Hauptstellung als Vizepräsident des Staats-
ministeriums. In letzterem müssen Ew. Durchlaucht naturgemäß eine so prä-
dominirende Stellung einnehmen, daß für den Vizepräsidenten wesentlich nur
eine gewisse formelle Handhabung der Geschäfte übrig bleiben kann. Für diese
Aufgabe dürfte sich wohl eine andere geeignete oder gar geeignetere Persönlich-
keit finden lassen; sollte dies aber aus besonderen Gründen augenblicklich nicht
der Fall sein, so kann meines Erachtens auch jeder vorhandene Minister, der
nur mit Ew. Durchlaucht Politik im allgemeinen einverstanden ist, diese Geschäfts-
führung provisorisch übernehmen. Wenigstens konnte ich mich des Eindrucks
niemals erwehren, daß die Wichtigkeit der mir im Staatsministerium zufallenden
Geschäfte nicht im richtigen Verhältnis zu dem Maße persönlicher Freiheit
stand, welches ich aufzugeben genötigt bin, solange ich ein unmittelbares
Staatsamt bekleide. Denn mittelbar dem öffentlichen Interesse zu dienen, bin
ich nach wie vor gerne bereit. Ich glaube auch, daß eine solche Beteiligung
am Staatsleben weit mehr meiner Individualität entspricht und jedenfalls die
Bewahrung der persönlichen Freudigkeit sichert, welche mir jetzt gänzlich fehlt.
Nach dieser offenen Darlegung gebe ich mich der Hoffnung hin, daß Ew. Durch-
laucht meine Erwägungen gütigst würdigen und der Ausführung meiner Absicht
keine Hindernisse entgegenstellen werden. Inzwischen bin ich in bekannten Ge-
sinnungen aufrichtigster Hochachtung
Ew. Durchlaucht ganz ergebenster
Otto Graf zu Stolberg.“
Antwort Bismarcks.
Friedrichsruh, 10. September 1880.
„Ew. Excellenz gefälliges Schreiben vom 5. d. M. habe ich bisher wegen
heftiger neuralgischer Leiden nicht beantworten können und bin auch heute nicht
im stande, es mit eigener Hand zu thun, sondern muß mich der meines Schwieger-
sohnes bedienen. Die Schwierigkeiten, welche das Zerrgewicht der parlamenta-
rischen Situation der Erfüllung dringlicher ministerieller Aufgaben entgegenstellt
und denen meine Gesundheit, wenn sie nicht besser wird, nicht gewachsen ist,