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Ein nach der damaligen kritischen Sachlage nicht hoch genug anzuschlagendes
Verdienst.
Graf Otto zu Stolberg hat quantitativ und qualitativ ein weit größeres
„Maß von politischer und administrativer Arbeit geleistet, als nach außenhin
bekannt geworden ist. Je bescheidener er selbst von seinen Leistungen dachte,
desto weniger ließ er sie nach außen hervortreten. Ich könnte dies mit ganz
sprechenden Belegen darthun; aber dazu reicht meine Zeit nicht aus. Ich will
nur folgendes hervorheben:
Er hatte volles Verständnis für die Notwendigkeit einer arbeiterfreundlichen
Gesetzgebung (Krankenversicherung, Unfallversicherung u. s. w.) als positives
Korrelat des bloß repressiven Sozialistengesetzes. Das umfangreiche Votum, in
welchem er diese Ideen zuerst vertrat und die gesetzgeberische Initiative auf
diesem Gebiete anregte, entsprach durchaus seinen wohl erwogenen Gedanken und
den von ihm erteilten Direktiven. Das Votum muß in den Akten des Staats-
ministeriums noch vorhanden sein. Wenn ich nicht sehr irre, erfreuten sich die
Grundgedanken desselben auch der Billigung des Fürsten Bismarck.
Aeußerst wichtig und fruchtbar war die persönliche Einwirkung des Grafen
Stolberg auf die während der Jahre 1879 bis 1881 wiederholt im Ministerium
und in den höheren Reichsämtern aktuell gewordenen Personalfragen. Das
wurde auch im Staatsministerium voll anerkannt, und das Bedauern der Minister
über seinen Rücktritt entsprach durchaus dem weitreichenden Einflusse, den er
auf diesem Gebiet — natürlich immer in voller Hingebung an den Fürsten
Bismarck und dessen Auffassungen — ausgeübt hatte. Aber auch sonst votirte
Graf Stolberg in allen Fragen, welche damals das Staatsministerium be-
schäftigten, und zwar immer schriftlich, ausführlich und gründlich auf Grund
sorgfältiger Informationen und gewissenhafter Erwägung. Innerhalb des
Staatsministeriums war sein Einfluß dadurch während seines Vizepräsidiums
sehr erheblich.
Nicht minder bedeutsam war sein Rat bei den Verhandlungen über die
Beilegung des Kulturkampfs. Er war ein überzeugter evangelischer Christ;
aber er hatte die Notwendigkeit der besonnenen und erfolgreichen Durchführung
der vom Fürsten Bismarck als möglich und wünschenswert erkannten, auf
Wiederherstellung erträglicher kirchlicher Friedenszustände abzielenden An-
knüpfungen klar erkannt, und er hat die damaligen Verhandlungen mit großer
Weisheit und Besonnenheit gefördert. Namentlich auch gegen Ende des
Jahres 1879, als er den verstorbenen Minister v. Bülow zugleich im Aus-
wärtigen Amt vertrat. Damals war seine Arbeitslast kolossal; er kam fast nie
vor zwei Uhr nachts ins Bett. Sein Arbeitszimmer glich damals einem Tauben=
schlage, und er sagte, das gehe täglich so von früh an bis in die Nacht hinein.
Auch davon hat er nie viel Aufhebens gemacht, und doch stellte jene Zeit an
ihn leiblich und geistig Zumutungen persönlicher Aufopferung, die über das