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des Reichstagsgebäudes in der Leipzigerstraße stattgefunden. Bei dieser ver-
traulichen Vorbesprechung ließ der bayerische Gesandte v. Rudhart die Aeußerung
fallen, daß seiner Ansicht nach der Antrag Hamburgs allerdings an den Ver-
fassungsausschuß zu verweisen und bis zur Erledigung in demselben die Beratung
der Verfassungsfrage zu vertagen sei.!)
Wenn nun schon der oben bezeichnete Schachzug Hamburgs den Kanzler
unangenehm berührte, so wuchs sein Unmut, als er vernahm, daß der bayerische
Gesandte v. Rudhart nach der Bundesratssitzung vom 3. Mai 1880 erklärt habe,
er werde wegen des Hamburger Antrags Instruktion einholen, stimme aber
nach seiner Privatansicht mit der Hamburger Auffassung überein.?) Ob dieser
Haltung mußte er, als der Kanzler ihn am 4. Mai 1880 5) auf seiner parla-
mentarischen Soirée zu Gesicht bekam, in Gegenwart der ganzen Gesellschaft
harte Worte hören. Er werde sich — bemerkte Bismarck — über den Gesandten
bei dessen Regierung beschweren, weil er gegen deren Intentionen, die ihm,
dem Reichskanzler, wohlbekannt seien, gestimmt habe, was ihm unzulässig und
unerlaubt erscheine. Fürst Bismarck sprach sogar von einer „Konspiration"“
mit Römlingen, den Hamburger Juden und Fortschrittlern. Herr v. Rudhart
erwiderte auf die unerwartete Anrede des Reichskanzlers nur wenige Worte,
ungefähr, daß der Fürst über die Thatsachen falsch berichtet sein müsse. Daß
1) In der Presse wurde das Verhältnis nicht richtig geschildert. So wurde z. B. der
„Augsb. Abendztg.“ von einem gut unterrichteten Münchner Korrespondenten das folgende
mitgeteilt: „Wie wir erfahren, beruht die Zur-Dispositionsstellung des Herrn v. Rudbart
auf einem Versehen desselben, welches freilich besser nicht gemacht worden wäre. Es ist
nämlich nicht richtig, daß Herr v. Rudhart in dem dritten Ausschuß des Bundesrats
gegen den Antrag Preußens gestimmt hat, sondern derselbe hat einem von dritter Seite
gestellten Antrag auf Vertagung der Sache zum Zwecke der Beratung einer Vorfrage zu-
gestimmt. Diese Vorfrage soll allerdings dahin gestellt gewesen sein, ob zur Prüfung des
Hauptantrages bezüglich der Zollgrenzen auf der Unterelbe der dritte und vierte Ausschuß
des Bundesrats für Zölle und Handel oder der Verfassungsausschuß zuständig sei. Da
Herr v. Rudhart, wie man erzählt, von der Intention seiner Landesregierung noch keine
sichere Kenntnis gehabt hat, indessen wußte, daß der Reichskanzler und die preußische
Regierung den allergrößten Wert darauf legen, den Gegenstand nicht zu einem Verfassungs-
konflikt anschwellen zu lassen, sondern im Wege praktischer Zollanordnungen zu erledigen,
war es unvorsichtig, diesem Vertagungsantrag zuzustimmen, da aus dieser Zustimmung sich
leicht der Schluß ableiten ließ, daß auch bayerischerseits Neigung bestehe, den Art. 34 der
Reichsverfassung im Sinne des Hamburgischen Antrages zur Grundlage der weiteren Be-
ratungen zu machen. Weniger indessen als die Abstimmung soll die Motivirung seines
Votums gegen Herrn von Rudhart aufgebracht haben, welche den Anschauungen in München
an maßgebender Stelle durchaus widersprach.“
2) Zu vergl. die „Vossische Ztg.“ Nr. 132 v. 12. 5. 80, Nr. 135 v. 15. 5. 80,
Nr. 138 v. 19. 5. 80, die „Post“ Nr. 123, 125, 132, 136 u. „Magdeburger Ztg.“ Nr. 222
v. 15. 5. 80.
3) Kohl läßt in seinen Bismarck-Regesten den Konflikt mit Rudhart irrtümlicher-
weise in der parlamentarischen Soirée vom 8. Mai 1880 stattfinden.