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Ueber die weiteren Folgen des Konfliktes ist noch folgendes zu bemerken:
An dem der parlamentarischen Soirée folgenden Morgen (5. Mai) ließ
der bayerische Gesandte v. Rudhart in aller Frühe die sämtlichen in Berlin
wohnenden bayerischen Bevollmächtigten zum Bundesrat, nämlich den bayerischen
Obersten Ritter v. Aylander, den Regierungsrat Herrmann, den Ober-Regierungsrat
Freiherrn v. Raesfeldt und den Ober-Zollrat Schmidtkonz bitten, sich bei ihm
in der bayerischen Gesandtschaft einzufinden. Als dieselben erschienen waren,
Gesandten, der sich als Gast im Hause des Kanzlers befand, gerade bei dieser Gelegenheit
und ziemlich laut ausgesprochen wurde, kann wohl schwerlich gebilligt werden, ist indessen
dadurch begreiflich, daß die Nachrichten über die Intentionen der bayerischen Regierung am
Morgen desselben Tages eingetroffen sein sollen, am Nachmittag die Abstimmung im
Bundesrat stattfand und der Reichskanzler daher am Abend desselben Tages noch im
Zustand der ersten Aufregung gehandelt haben mag. Es versteht sich von selbst, daß
gerade die Form, in welcher der Bruch erfolgt, jede Verständigung erschwert, so sehr sie
von allen Seiten, vielleicht auch vom Reichskanzler selbst, gewünscht werden mag. Herr
v. Rudhart gilt nämlich für eine ebenso liebenswürdige Persönlichkeit als für einen vor-
sichtigen Staatsmann und wird auf dem Berliner Posten, der wenig Rosen und viele
Dornen bringt, schwer zu ersetzen sein. Dort ist die Aufgabe um deswillen schwierig, weil
die ermüdenden Tagesgeschäfte außerordentliche Sachkenntnis in fast allen Gebieten des
Staatslebens für den Stimmführer Bayerns voraussetzen und freundliche Beziehungen
zwischen den Vertretern aller Partikularstaaten neben einem guten Verhältnis zur Reichs-
regierung Bedingung eines gedeihlichen Wirkens sind. — Die „Süddeutsche Presse“ be-
hauptete, daß zwischen dem König Ludwig und dem Fürsten Bismarck eine direkte Korrespondenz
über wichtige Angelegenheiten stattfinde. Wahrscheinlich war dies auch diesmal der Fall
gewesen. Fürst Bismarck hatte sich der Zustimmung des Königs versichert, ohne daß Herr
v. Rudhart davon die geringste Kenntnis hatte. Der Umstand, daß er sich, wenn auch
nur für seine Person, in einer Weise aussprach, welche von der gemeinsamen Anschauung
seines Königs und des Kanzlers abwich, hatte dann den lebhaften Unmut des letzteren
erregt. — Der „Pfälzischen Presse“ wurden über die Affaire folgende angeblich von Herrn
v. Rudhart selbst erzählte Einzelheiten mitgeteilt. Der König von Bayern hatte die
Anschauungen Bismarcks in Sachen der Hamburger Angelegenheiten vollständig geteilt und
der Reichskanzler dies gewußt, hiernach auf Zustimmung Bayerns für die Vorlage im
Bundesrate mit Bestimmtheit gerechnet. Da erhielt Herr v. Rudhart per Telegraph die
ministerielle Weisung, gegen die Vorlage zu stimmen. Und es geschah also, obwohl Herr
v. Rudhart über den Befehl, der den Ansichten Sr. Majestät zuwiderlief, ebenso erstaunt
war wie Bismarck über die bayerische Abstimmung. Es stellte sich denn auch nachträglich
heraus, daß mit der Depesche ein unglücklicher Irrtum unterlaufen war. Der Reichskanzler
glaubte natürlich, der bayerische Gesandte handle aus eigener Initiative und entgegen den
ausdrücklichen Weisungen des Königs von Bayern. Daher der unfreundliche Empfang.
Herr v. Rudhart meinte nun, die Sache sei an sich sehr unbedeutend und nur unsere
sensationslustigen Journalisten und besonders die Oppositionsblätter hätten der Sache eine
Wichtigkeit beigelegt, die sie absolut nicht habe. Er könne nur den Herren, die Bismarck
immer etwas am Zeuge flicken wollen, zu bedenken geben, daß es ohne diesen genialen
Staatsmann einfach nicht gehe. Der Reichskanzler soll u. a. gesagt haben: „Wenn mir
der Rudhart am nächsten Morgen einen saugroben Brief geschrieben hätte, so wäre das
gescheiter von ihm gewesen, als sich gleich Urlaub geben zu lassen.“