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Handelsminister noch nicht die Absicht hatte, aus dem Dienste zu scheiden, so
richtete sich seine Wahl auf Berlepsch, weil er annahm, daß dieser doch nicht,
wie vielleicht ein anderer, ihm unbequemer Minister, über das Maß dessen
hinausgehen würde, was er ebenfalls für zulässig hielt und äußerstenfalls
concediren zu können glaubte. «
Am 6. Februar 1890 war Freiherr v. Berlepsch bei dem Diner, 1) durch
welches Fürst Bismarck sich von den Herren des Handelsministeriums ver-
abschiedete, zugegen als neuer Chef desselben, ein Zeuge der Verehrung Bis-
marcks durch seine bisherigen Untergebenen.
Von dem Augenblick an, da Bismarck aus dem Amte schied, war Freiherr
v. Berlepsch allerdings in der Lage, seine eigene Sozialpolitik zu verfolgen,
und es erwuchs daraus jetzt allerdings etwas ganz anderes, als der Handels-
minister bei der Annahme des Portefeuilles vielleicht selbst sich gedacht haben
mochte.
Sein erstes Werk war die Ausführung der Kaiserlichen Erlasse
vom 4. Februar 1889. Zur Ergänzung der Botschaft Wilhelms I. vom
17. November 1881, die die Arbeiterversicherung einleitete, wurde es als Pflicht
des Staates bezeichnet, Zeit, Maß und Art der Arbeit zu regeln, damit die
Erhaltung der Gesundheit, die Gebote der Sittlichkeit, die wirtschaftlichen Be-
dürfnisse der Arbeiter gesichert und ihr Anspruch auf gesetzliche Gleichberechtigung
gewahrt bleibe; durch die Errichtung von Arbeitsausschüssen sollte der Friede
zwischen Arbeitgebern und Arbeitern gepflegt werden, das Koalitionsrecht sollte
gestärkt und erweitert, die staatlichen Betriebe zu Musteranstalten entwickelt
werden. Eine internationale Konferenz der europäischen Industriestaaten sollte
die Besserung der Lage der Arbeiter in Beratung ziehen. Die Maßnahmen
zum Arbeiterschutz in Deutschland sollte der Staatsrat erwägen. Am 15. März
wurde die internationale Konferenz eröffnet. Ihr Vorsitzender, der neue Handels-
minister v. Berlepsch, hielt eine Ansprache, worin er betonte, nach einer Lösung
der Arbeiterfrage zu suchen, sei nicht allein eine Pflicht der Humanität, sondern
auch der staatserhaltenden Weisheit, der es obliege, für das Wohl aller Bürger
zu sorgen. Das Ergebnis der Konferenz war, wie Bismarck vorausgesehen
und vorausgesagt hatte, auf internationalem Gebiete mehr als bescheiden.)
1) Eine Beschreibung desselben findet sich in meinem Werke: „Fürst Bismarck, Neue
Tischgespräche und Interviews“, S. 165.
2) Die „National-Ztg.“ bemerkte über diese erste Etappe der Berlepschen Wirksamkeit:
„Fürst Bismarck hatte das seit einem Jahrzehnt von ihm geleitete preußische Ministerium
für Handel und Gewerbe abgegeben, weil er, von jeher ein Gegner auch maßvoller Ein-
griffe in den Arbeitsvertrag, um so weniger die sensationelle und unklare Sozialpolitik
mitmachen wollte, deren Vertreter, nachdem sie von Ratgebern hinter den Coulissen vor-
bereitet worden war, von einem „Arbeiterkaiser“ phantasirten und von Staats wegen soziale
Wunder zu wirken versprachen. Wie weit Herr v. Berlepsch selbst, der als Regierungs-