Full text: Fürst Bismarck und der Bundesrat. Dritter Band. Der Bundesrat des Deutschen Reichs (1873-1878). (3)

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Berlepsch wurde demnächst einer der Hauptmitarbeiter an dem Arbeiter- 
schutzgesetz, einem Gesetz, das in dem Rahmen von Bismarcks Sozial— 
politik gleichfalls niemals hätte Platz finden können. Dem im Spätherbst 1890 
zusammentretenden Reichstag wurde eine Novelle zur Gewerbeordnung vor- 
gelegt, die die Kinderarbeit noch weiter als bisher beschränkte, die Beschäftigungs- 
zeit für Jugendliche regelte, den elfstündigen Arbeitstag für Frauen festsetzte, 
Fabrikordnungen obligatorisch und Arbeiterausschüsse fakultativ einführte, dem 
Bundesrat die Befugnis gab, in Betrieben, wo durch übermäßige Arbeitsdauer 
die Gesundheit der Arbeiter leide, ein Maximum der Beschäftigungsdauer fest- 
zusetzen. Die Berechtigung der Arbeiter, Koalitionen zur Erlangung besserer 
Arbeitsbedingungen einzugehen, wurde bestätigt, die Bestrafung des Kontrakt- 
bruches abgelehnt. Es wurden ferner Bestimmungen für die Sonntagsruhe 
in Gewerbe und Handel getroffen und anderes mehr. Obwohl im Reichstag 
manche Bedenken laut wurden, da den einen der Arbeiterschutz zu weit, den 
andern zu eng gefaßt war, war doch im allgemeinen ein so starker Zug zur 
Reform in den großen Parteien vorhanden, daß die Vorschläge der Regierung 
mit großer Mehrheit Annahme fanden. 
Noch weiter trennte sich Berlepsch von den Traditionen der Bismarckschen 
Politik durch sein kräftiges Eintreten für die Caprivischen Handelsverträge. 
Ueber seine weitere Wirksamkeit schrieb die „National-Zeitung“ nach seinem 
Rücktritt (Nr. 415 vom 28. Juni 1896): „Die Einsetzung der gegenwärtig 
bekanntlich nicht sehr populären Kommission für Arbeiterstatistik war eine Kon- 
sequenz des Arbeiterschutzgesetzes; sie sollte das thatsächliche Material sammeln 
für die Beurteilung weiterer Maßnahmen, die im Anschluß an jenes Gesetz, 
namentlich zur Ausführung darin dem Bundesrat erteilter Vollmachten, in 
Frage kommen mochten. Die vielbesprochene Bäckereiverordnung, welche von 
dieser Kommission ausgearbeitet war, entsprach so sehr den sozialpolitischen 
präsident von Düsseldorf in dem dortigen wichtigen Industriebezirk vielfach verdienstvolle 
sozialpolitische Anregungen gegeben und durchgeführt hatte, jene himmelstürmenden Ein- 
bildungen teilte, mag dahingestellt bleiben; thatsächlich ward er der ministerielle Vertreter 
derjenigen Sozialpolitik, welche durch die Erlasse vom 4. Februar 1890 zunächst die gegen 
die gesamte Bismarcksche Politik gerichtete Strömung bei den damals bevorstehenden 
Wahlen außerordentlich förderte und so den Sturz des ersten Kanzlers herbeiführen half 
Weil eine derartige Wirkung mit großer Wahrscheinlichkeit zu erwarten war, hatten sich 
alle Gegner des Fürsten Bismarck, selbst die radikalsten Manchesterleute, rasch entschlossen 
auf die Seite der Februar-Erlasse geworfen, während diese politische Bedeutung der Situation, 
ferner die gefährliche Vieldeutigkeit der Erlasse und die bedenkliche Art ihrer Entstehung 
auch bei solchen Beurteilern Besorgnisse erregen mußten, welche, gleich uns, seit Jahren 
eine positive Sozialpolitik unterstützt und insbesondere eine maßvolle Weiterbildung der 
Fabrikgesetzgebung befürwortet hatten. Das erste große Unternehmen jener sensationellen 
Sozialpolitik, die internationale Arbeiterschutzkonferenz, welche unter dem Vorsitz des Herrn 
v. Berlepsch tagte, führte denn auch zu einem vollständigen Fehlschlag."
	        
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