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welche der Kaiser auf Antrag des Reichskanzlers für Fälle der Be—
hinderung desselben aus anderen Mitgliedern des Bundesrats allgemein
oder für einzelne Amtszweige ernennt.
Der Antrag stieß zu Anfang in Bundesratskreisen auf lebhafte Bedenken,
zu deren Zerstreuung Bismarck mit den Ministern v. Pfretzschner und v. Mitt-
nacht sowie mit dem sächsischen Gesandten v. Nostitz persönlich unterhandelte.
Am 11. Februar 1878 mittags 12 Uhr begannen in den Ausschüssen
des Bundesrats für die Verfassung und das Justizwesen die Beratungen über
die Vorlage. Es nahmen an denselben außer dem bayerischen Ministerpräsidenten
auch die leitenden Minister des Königreichs Sachsen (v. Nostitz Wallwitz), Würt-
tembergs (v. Mittnacht) und Badens (Turban) teil. Den Vorsitz führte der
Staatsminister Hofmann, Referat und Korreferat hatten der braunschweigische
Bevollmächtigte Dr. v. Liebe und der bayerische Ministerpräsident v. Pfretzschner.
Im Laufe der Beratungen traten viele und weit auseinandergehende Meinungs-
verschiedenheiten hervor, über welche eine Einigung zunächst nicht erzielt wurde.
Am 17. Februar 1878 währte die Beratung der zustehenden Bundesrats-
ausschüsse von mittags 1 Uhr bis nachmittags 5 ½ Uhr. Außer den Anträgen
des Referenten und Korreferenten lagen noch von verschiedenen Seiten neue
Anträge vor, 1) die nun erst festgestellt und abermals zur Kenntnisnahme der
1) Ueber den Inhalt dieser Anträge schrieb die „Kölnische Zeitung“: Die Ausschüsse
haben am Montag mit überwiegender Mehrheit Amendements zur Stellvertretungsvorlage
angenommen, nach welchen die Stellvertretung erheblich eingeschränkt, so gut wie aus-
geschlossen wäre für diejenigen Ressorts, wo der Schwerpunkt der Geschäfte in der Be-
aufsichtigung der Bundesstaaten liegt, also hauptsächlich bei dem Eisenbahn-Amt und dem
Justiz-Amt. Dagegen würde die Stellvertretung stattfinden können für die Marine, aus-
wärtige Angelegenheiten, Elsaß-Lothringen, Post und Telegraphen, auch für Finanzen,
insofern das Reich hierin eine eigene Verwaltung hat. Für diejenigen Aemter, wo die
Stellvertretung ausgeschlossen wäre, bleibt die Beaussichtigung ohne jede Einschränkung bei
dem Reichskanzler oder bei dem verantwortlichen Vizekanzler. Die „Prov.-Korresp.“
Nr. 10 v. 6. 3. 78 schrieb über das Kompromiß: Die Notwendigkeit einer Regelung der
Stellvertretung ist im Bundesrat unbedingt anerkannt worden, und zwar aus denselben
Gesichtspunkten, welche zur Begründung der Vorlage geltend gemacht und seiner Zeit mit-
geteilt waren. Der Bundesrat hat jedoch statt der obigen Bestimmung einen Gesetzentwurf
in vier Paragraphen vorgeschlagen. Die Zulässigkeit einer Vertretung des Reichskanzlers
für Fälle der Behinderung ist im § 1 in folgender Weise zum Ausdruck gebracht: „Die
zur Giltigkeit der Anordnungen und Verfügungen des Kaisers erforderliche Gegenzeichnung
des Reichskanzlers, sowie die sonstigen demselben durch die Verfassung und die Gesetze des
Reichs übertragenen Obliegenheiten können nach Maßgabe der folgenden Bestimmungen
durch Stellvertreter wahrgenommen werden, welche der Kaiser auf Antrag des Reichs-
kanzlers in Fällen der Behinderung desselben ernennt.“ Der Umfang und die Art und
Weise der Stellvertretung ist im § 2 geordnet. Es soll Fürsorge getroffen werden, daß
ein Stellvertreter allgemein für die Gesamtheit der Amtsthätigkeit des Kanzlers ernannt
werden kann, — daß aber auch für einzelne Zweige der Verwaltung, nämlich für diejenigen
einzelnen Amtszweige, welche sich in der eigenen und unmittelbaren Verwaltung des Reichs