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Frankreich auch einen persönlichen Charakter anzunehmen begannen, als Jolly
und Freydorf nach Versailles reisten, um mit Bismarck das deutsche Einigungs-
werk zu beraten.
Die Berührungen, die Jolly mit Bismarck in Versailles hatte, sind von
ihm in Briefen geschildert, die er von dort an seine Frau geschrieben hat.
Nachstehend einige Auszüge daraus:
Versailles, 28. Oktober 1870.
„Bismarck ist ein wunderbarer Mann, ganz anders, als man nach seinem
öffentlichen Auftreten erwarten sollte, auch in seinem Aeußeren dadurch von
unserer sonst sehr guten Photographie wesentlich verschieden, daß er einen sehr
viel weicheren, mitunter fast schwärmerischen Zug hat. Er war wohl eine
starke halbe Stunde bei mir und sprach ebenso entgegenkommend wie offen
über alle Verfassungsfragen; bei seinem Abschied war ich, ich muß bekennen,
von seiner Persönlichkeit entzückt. Ich traf ihn abends beim Diner beim König
und Dienstags beim Diner beim Kronprinzen, wo ich neben ihm saß, ohne
übrigens zu einem andern als einem bloßen Tischgespräch zu kommen. Der
Reiz der Persönlichkeit hat für mich bei wiederholter Beobachtung etwas ver-
loren; sie scheint mir doch nicht rein Originalität, sondern etwas bewußt gemacht
und nicht ganz frei von höfischer Courtoisie. Die sprudelnde Fülle von Ge-
danken und Anschauungen, die ganz überlegene Betrachtung der Dinge im
großen versteht sich von selbst, und auch der Bilderreichtum der öffentlichen
Reden kehrt ungemein anregend im Privatgespräch wieder, um so auffallender
bei der etwas stockenden Sprache.“ Ueber die badische Militärfrage lasse sich
Bismarck nicht präzis aus; die Einräumung eines Anteils der bayerischen Re-
gierung an der diplomatischen Vertretung erklärte Bismarck Jolly gegenüber als
unmöglich. „Bismarck sagte mir, er ziehe es vor, Bayern durch mögliche Kon-
zessionen zu gewinnen, als durch Isolirung, Zollverein u. s. w. zu zwingen;
eventuell schließe er aber mit Baden und Württemberg allein ab. Die Kaiseridee,
für welche jetzt auch der König gewonnen sein soll und für welche mir Bismarck,
obgleich er sich selbst auf starke Provokation nicht äußert, entschieden gestimmt
zu sein scheint, wird wohl ohne Zweifel verwirklicht werden."“
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Badens auf Eintritt in den Norddeutschen Bund dem Präsidium desselben willkommen sein
werde. Baden entsprach der Aufforderung sofort und ließ schon am 3. Oktober den ge—
wünschten Antrag nach Berlin abgehen, worauf Bismarck in seiner Antwort vom 12. Oktober
den Antrag als einen neuen Beweis der stets bewährten nationalen Gesinnung Badens
bezeichnete, das Anerbieten des Eintritts in den Bund annahm und die Regierung einlud,
Unterhändler zur Feststellung der Einzelheiten in das Hauptquartier nach Versailles zu
senden. Er verständigte zugleich die bayerische und die württembergische Regierung von
dem badischen Antrag und gab ihnen anheim, gleichfalls Vertreter nach Versailles zu
senden.