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Sieger, sondern der Besiegte hat nachzugeben. Es ist doch ein ganz eminenter
Mensch, der trotz manchem wunderlich Bizarren doch, als echtes Genie, bei aller
Kraft innerlich maßvoll ist. Die stundenlangen Debatten bewegten sich zunächst
um die Grenze bei Belfort — ohne Erfolg für die Franzosen. Dann um die
Modalitäten der Zahlung der Kriegsentschädigung — noch nicht erledigt. Dann
um die zu besetzenden Teile von Paris — vergeblich für die Franzosen. Ferner
die Art der allmälichen Räumung der besetzten Gebiete — nach unendlichem
Hin- und Herreden eine von Thiers vorgeschlagene neue Wortfassung, die
sachlich mit dem Vorschlag Bismarcks vollkommen übereinstimmt. Endlich die
Verpflegung der Occupationstruppen — dabei wurde ohne Resultat abgebrochen,
und heute soll fortgefahren werden.“
Fortgesetzt am 27. II.
„Nach der langen Diskussion am Samstag Nachmittag nahmen wir am
Diner im Bundeskanzler-Amt teil, die Franzosen hatten gedankt. Die Unter-
haltung war im höchsten Grade interessant, die verschiedensten Richtungen und
Wünsche äußerten sich: das brutalste Borussentum, vertreten durch den zufällig
anwesenden Grafen Renard, das heroische Selbstgefühl des Bankier Bleichröder
mit einer unvergleichlichen Judenphysiognomie, die ruhige Geschäftsbetrachtung
des klugen Geheimrats Scheydtmann und anderer, die weltmännische Feinheit
des Grafen Henckel und vor allem die liebenswürdige Größe Bismarcks. Nach
Tisch sollte die Konferenz fortgesetzt werden, es kam aber nicht dazu, indem
die Finanzfachmänner nicht die von ihnen verlangten Vorschläge machen konnten;
Rothschild behauptete, es seien ihm von Thiers nicht genügende Unterlagen
angegeben. Bismarck hatte darüber noch, wie er uns gestern erzählte, eine
kleine Privatscene mit Thiers, schließlich kam aber nichts anderes heraus als
die Verabredung, Sonntags 11 Uhr wieder zusammen zu kommen. Die Scene
im Versammlungssaal im Bundeskanzler-Amt, in welchem sich die ganze oben
beschriebene Gesellschaft mit den Räten und Attachés des Kanzlers zwanglos
herumbewegte, noch bereichert durch Hinzutritt des über einzelne Punkte zu Rai
gezogenen Generals v. Stosch, eines äußerst besonnenen, festen Mannes, dann
des Barons Rothschild und endlich auch von Thiers und Favre, ist das Gran-
dioseste, was die Phantasie eines Dichters ersinnen, der Pinsel des genialsten
Malers darstellen könnte. Letzterer müßte sich als Mittelpunkt den Augenblick
wählen, wie Rothschild, ein kleines, schmächtiges Männchen mit schlotternden
Knieen, vor dem etwas gereizten Bismarck steht, der, ärgerlich, daß die Sache
nicht fertig wird, mit lauter Stimme und trotz Hexenschuß hoch aufsgerichtet
erklärt: „Wenn der Herr Baron keine Neigung hat, die gewünschten Vorschläge
zu machen, müssen wir sehen, wie wir sonst fertig werden." Stammelnde
Antwort: „Excellenz, ich bin geneigt.“ Mein bayerischer Kollege war sehr ängst-
lich, die Sache könne scheitern; die wildesten Borussen fingen an zu hoffen, sie