Full text: Fürst Bismarck und der Bundesrat. Dritter Band. Der Bundesrat des Deutschen Reichs (1873-1878). (3)

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Dinge beachten und sich darauf beschränken, das Gereifte zu sichern; der Staats- 
mann müsse wie ein Förster sein, der geduldig abwarte, bis der Wald schlagreif 
geworden. Wunderbar, daß der unvergleichlich geniale und gesellschaftlich so 
überaus liebenswürdige Mann doch, allem Anschein nach, eigentlich keinen 
persönlich an ihn geketteten Freund hat. Es war mir sehr merkwürdig, wie 
in diesen Tagen herrlicher Entscheidung die vermeintlich vertrautesten Räte seines 
Ministeriums, wenn ich nicht sehr irre, innerlich gegen ihn gereizt waren, weil 
er vermöge seiner unbedingt gebieterischen Natur jedes Vertrauen, jede Mitteilung, 
jede Gemeinsamkeit verschmäht und allein seine kühnen Pfade wandelt. Un- 
begrenzten Dank sind wir ihm, denke ich, wegen seiner in ihren Folgen ihn 
am schwersten treffenden Rücksichtslosigkeit nur um so mehr schuldig. Er ist 
ein rastloser Arbeiter, der ein vertrauensvolles Sichgehenlassen nicht kennt und 
bei welchem in Ermanglung dieser natürlichsten Ausspannung die Gereiztheit 
und Ueberspannung begreiflich sind. Auf meine Frage, wie er den jetzigen 
Moment genieße, erhielt ich die Antwort: „Es giebt im politischen Leben keinen 
Nuhepunkt, der ein befriedigtes Rückschauen zuläßt; ich weiß nicht, was aus 
dem heute Gepflanzten morgen wird.“ 
Nach Gründung des Deutschen Reichs beteiligte sich Jolly an den ersten 
Arbeiten des Bundesrats im Frühjahr 1871; doch waren die Wahrnehmungen 
die er über diese hohe Körperschaft machte, keine günstigen. Jolly ließ sich 
darüber eingehend in einem an Baumgarten gerichteten Briefe aus, in dem er 
dieses Mittelding zwischen Ministerium und Staatenhaus für eine bloße mit 
einem gewissen Prunk umgebene Form erklärte. Bei der Gesetzgebung, bemerkte 
er, könne das Kollegium nur an den Entwürfen des Reichskanzler-Amts Kritik 
üben und sei dabei zwar insofern dem Reichstag überlegen, als die Mitglieder 
von ihren Regierungen unterrichtet würden, aber andererseits sei die Diskussion 
keine ernstliche, weil nach Instruktion gestimmt werde, und sie werde vollends 
durch die Thatsache totgeschlagen, daß Preußen 17 Stimmen habe und alles 
durchsetzen könne, bald durch seine Autorität und bald durch das Preisgeben 
ihm gleichgiltiger Punkte für solche, auf die es Wert lege. Das im Bundesrat 
zusammenströmende publizistische Wissen könne vielleicht den Gesichtskreis der 
preußischen Beamtenwelt erweitern, aber dieses Ziel lasse sich vollkommener und 
einfacher durch die Herübernahme hervorragender Kräfte aus allen Teilen Deutsch- 
lands in den Reichsdienst erreichen. Völlig nichtig sei der Bundesrat als 
Regierungsorgan, was eklatant zum Beispiel bei der Aufstellung des Etats 
hervortrete. Er könne weder selbst arbeiten noch, wegen seiner Abhängigkeit von 
Instruktionen und von Preußen, kritisiren und spiele daher eine lächerliche Rolle. 
Trotz dieser Uebelstände sei nicht ein Auseinanderfallen oder auch nur die Ueber- 
stimmung Preußens zu befürchten, denn die hierzu erforderlichen dreißig Stim- 
men seien, selbst wenn Baden einmal abfalle, schwerlich zusammenbringen. Wohl
	        
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