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zum Bundesrat nach Berlin ging, schrieb er seiner jungen Frau, einer geborenen
Freiin v. Cornberg, täglich. In der Hauptsache waren es Mitteilungen über
das persönlich Erlebte, über die gemachten und erhaltenen Besuche, Einladungen
zu Hofe, zu der offiziellen Welt und zu befreundeten Familien, und über den Besuch
der Theater und künstlerischen Veranstaltungen. Daneben wurden aber doch auch
Bemerkungen über den Gang der Geschäfte im Bundesrat eingeflochten, soweit
die Diskretion des Beamten und vielleicht noch mehr das Interesse der jungen
Leserin dies natürlich gestatteten. Aus diesem Briefschatze mögen hier einige
Notizen folgen zur Illustration des Lebens und Treibens eines in Berlin
weilenden süddeutschen Bevollmächtigten zum Bundesrat und zur Ergänzung
derjenigen Briefe und Tagebuch-Aufzeichnungen Freydorfs, welche bereits im
vorhergehenden Bande Aufnahme gefunden haben.
Berlin, den 23. November 1870.
„Um halb 8 Uhr im Anhalter Bahnhof zu Berlin einfahrend, traf ich
v. Türckheim, mit dem ich das nötigste Geschäftliche besprach. Bald war im
British-Hotel ausgepackt, Toilette gemacht, waren die im selben Hotel wohnenden
württembergischen Minister v. Mittnacht und v. Succow und der sächsische Minister
v. Friesen besucht, worauf ich von 11—4 Uhr ununterbrochen eine große Anzahl
Besuche fuhr. Außer Gneist traf ich nur General und stellvertretenden Kriegs-
minister v. Klotz, den amerikanischen Gesandten Bancroft und Frau v. Türckheim
zu Hause. Bancroft lud mich auf übermorgen zum Diner. Morgen beginnt
das Geschäft, nachdem mir eine Besprechung, die schon heute stattfinden sollte,
wieder abgesagt war.“
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Berlin, den 24. November 1870.
„Heute hatte ich behufs einer Besprechung, die ich um halb 10 Uhr mit
Minister Delbrück hatte, einiges mir Zugesandte zu lesen und zu vergleichen.
Ich wurde knapp fertig. Nach der Konferenz ging ich zu Türckheim, um das
Ergebnis zu telegraphiren, zu chiffriren und zu berichten. Inmitten der Arbeit
mußte ich heimkehren, mich zur Eröffnung der Reichstagssitzung umzukleiden
und ins Schloß zu fahren, wo die Feierlichkeit im Weißen Saale stattfand.
Auf dem Rückweg Einschreiben bei der Kronprinzessin. Um 4 Uhr heimgekehrt,
hatte ich eben Zeit, Uniform anzuziehen, um zum Diner bei der Königin zu
fahren. Es waren dort die Mitglieder des Bundesrats und einige Generale,
ich der einzige Süddeutsche.
„Kaum hatte ich Zeit, die Uniform zu wechseln, um um 7 Uhr in einer
Sitzung im Bundeskanzler-Amt zu erscheinen, von wo ich soeben, halb 10 Uhr,
zurückkehre. Ich bin todmüde. Von Berlin werde ich wohl wenig oder nichts
sehen.“
*
Poschinger, Fürst Bismarck und der Bundesrat. III. 4