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Berlin, den 27. Oktober 1875.
„Nach einer Sitzung, welche heute früh 11 Uhr begann, fuhren wir um
halb 2 Uhr zur Reichstagseröffnung ins Schloß, wo dieselbe — von Abgeord-
neten schwach besucht — in dem Weißen Saale in Verhinderung des Kaisers
und Bismarcks durch Delbrück stattfand.
„Die mecklenburger Angelegenheit wäre nun erledigt; mit den Nachträgen
zum Strafgesetz können wir in acht Tagen in Ausschuß und Bundesrat fertig
sein, und dann wird der Justizausschuß noch Stellung nehmen zu den Be-
schlüssen der Reichstagskommission zu den im vorigen Reichstag vorgelegten
Justizgesetzen, und sollte ich ehrenhalber bei der ersten Lesung der Konkurs-
ordnung anwesend sein.
„Ueber Deine Ausstellungen am bisherigen Strafrecht kannst Du Dich be-
ruhigen; es ist beschlossen, daß fernerhin der gestellte Strafantrag nicht mehr
zurückgezogen werden darf, bei vielen Vergehen nicht mehr wie bisher ein
Antrag des Verletzten zur strafrechtlichen Verfolgung nötig ist.“
*
Berlin, den 1. November 1875.
„Heute fand die letzte Sitzung des Justizausschusses über die Strafgesetz-
novelle statt, aber damit ist die Sache noch nicht zu Ende; es ergab sich als
wahrscheinlich, daß die Beratung und Abstimmung im Bundesrat (Plenum) —
nach Niederschreibung, Druck, Verteilung des Berichts des Ausschusses — wohl
nicht vor Mitte oder Ende nächster Woche stattfinden wird. Inzwischen werden
alle andern Geschäfte, für welche meine Anwesenheit hier nötig und nützlich sein
kann, erledigt sein, und ich werde wohl gleich nach jener Sitzung abreisen können."“
*
Berlin, den 2. November 1875.
„Heute sprach mich der bayerische Abgeordnete, Vizepräsident des Reichstags
Schenck v. Stauffenberg darauf an, daß wir in die Geheimnisse des Linderhofs
eingedrungen, wie er in München gehört. Bei Hohenschwangau ist ein Ort,
wo der König Ludwig II. jährlich einmal einkehrt. Vor drei Jahren schrieb
er ins Fremdenbuch: Jo el Rel, im letzten Jahre ins Deutsche übersetzt:
„Ich der König; vor zwei Jahren: Kaiser Franz Joseph und Kaiserin
Elisabeth. „Bleib bei Elisabeth.“ (Nach Wolfram im Tannhäuser.)“
*
Berlin, den 10. April 1876.1)
„Gestern abend war ich — auf Anfrage beschieden — von 9 bis 10 Uhr
bei dem Fürsten Bismarck,?) welcher liebenswürdig und eingehend vieles mit
1) Der nächste Aufenthalt v. Freydorfs in Berlin währte vom 2. bis 13. April 1876.
2) In Kohls Bismarck-Regesten nicht erwähnt, ebensowenig wie die folgenden
Zusammenkünfte.