— 86 —
Reichs, die Vorbereitung der großen Justizgesetze des Reichs, die Regelung des
Bankwesens und die Einführung der obligatorischen Zivilehe. Die Vorbereitung
all dieser großen legislatorischen Aufgaben hätte allein genügt, den Bundesrat
ausgiebig zu beschäftigen und die Session zu einer der arbeitsreichsten zu ge—
stalten. Dies alles, und was noch weiter der Erledigung harrte, soll im
folgenden näher beleuchtet werden.
1. Reichsgesetzgebung. (Art. 4—5 der Verfassung) ).
Beurkundung des Personenstandes und Form der Ehe-
schließung.2) Im März 1874 fanden im Bundesrat Besprechungen über den
vom Reichstag beratenen Zivilehegesetzentwurf statt, über welche so viel bekannt
geworden ist, daß diejenigen Staaten, in denen die Zivilehe bereits bestand,
sich selbstverständlich für den Antrag aussprachen, daß andere jene Richtung
vertraten, welcher der bayerische Justizminister Dr. Fäustle im Reichstage Aus-
druck gegeben hatte, nämlich bei Einführung der Zivilehe lediglich das Bedürfnis
der Einzelstaaten in das Auge zu fassen, und daß eine dritte Gruppe endlich,
an deren Spitze Mecklenburg, Reuß älterer Linie und — Sachsen standen,
lebhaft gegen die Zivilehe eintrat.
Ende Mai erstattete der Justizausschuß des Bundesrats über den aus der
Initiative des Reichstags hervorgegangenen Gesetzentwurf, betreffend die Be-
urkundung des Personenstandes und die Form der Eheschließung, (Referent
Dr. Kirchenpauer) seinen Bericht.
Der Ausschuß hatte vor allem die Vorfrage einer Prüfung zu unterziehen,
ob überall ein Bedürfnis anzuerkennen sei, die Beurkundung des Personen-
standes und die Form der Eheschließung auf der in dem Gesetzentwurf ent-
haltenenen Grundlage im Wege der Reichsgesetzgebung zu regeln. In dieser
Beziehung mußte von vornherein von ihm anerkannt werden, daß ein solches
Bedürfnis für Preußen, Baden und Elsaß-Lothringen, wo die Landesgesetz-
gebung bereits die entsprechenden Bestimmungen vorgesehen hatte, nicht vor-
handen sei. In anderer Lage befanden sich aber die übrigen Bundesstaaten,
deren Gesetzgebungen auf dem hier fraglichen Gebiet eine große Mannigfaltigkeit
der Systeme und deren Anwendung aufzuweisen hatten. Angesichts dieser
Sachlage vermochte die Mehrheit des Ausschusses nicht zu verkennen, daß es
wünschenswert sei, über die Form der Eheschließung und die Beurkundung des
1) Bundesratsvorlage, betreffend den Gesetzentwurf über die Naturalisation von im
Reichsdienst angestellten Ausländern, s. „Nat.-Ztg.“ Nr. 55 v. 3. 2. 75, „Nordd. Allg. Ztg."
Nr. 29. v. 4. 2. 75; Meinungsverschiedenheit zwischen Preußen und Hessen über die Be-
deutung des § 3 des Reichsgesetzes über Doppelbesteuerung „Nat.-Ztg.“ Nr. 266 v. 11. 6.74.
Deklarationsbedürfnis des gedachten Gesetzes „Nordd. Allg. Ztg.“ Nr. 193 v. 20. 8. 74.
1) Vgl. Bd. II. S. 344.