— 88 —
die längere Dauer und weitere Entwicklung des kirchenpolitischen Kampfes die
Eventualität als wahrscheinlich voraussehen, daß ein gleiches Bedürfnis auch
in denjenigen Staaten zu Tage treten werde, welche mit den bestehenden Ein-
richtungen noch auszureichen hoffen dürften.
Dennoch war der Ausschuß der übereinstimmenden Ansicht, daß dem Bundes-
rat nicht anempfohlen werden könne, den vom Reichstag beschlossenen Entwurf
durch seine Zustimmung zum Gesetz zu erheben.
Die Bedenken, zu welchen der Entwurf Anlaß gab, richteten sich nicht
gegen das Prinzip desselben, wohl aber zunächst dagegen, daß ein Reichsgesetz
erlassen werde, welches nach Inhalt des § 49 mit Ausnahme weniger Be-
stimmungen auf zwei Drittteile des deutschen Reichsgebiets — Preußen, Baden,
die bayerische Pfalz, Rhein-Hessen und Elsaß-Lothringen — keine Anwendung
finden solle. Ohne die Gründe zu verkennen, welche den Reichstag zu dieser
Beschränkung der Wirksamkeit des Gesetzes veranlaßt hatten, glaubte der Ausschuß
es doch nicht für zweckmäßig erachten zu können, auf demselben Rechtsgebiete
Reichsgesetz und Landesrecht mit lediglich örtlicher Trennung in gleicher Geltung
neben einander fortbestehen zu lassen. Ein weiteres Bedenken knüpfte sich an
die Bestimmungen des § 45, der den Regierungen die Verpflichtung auferlegte,
alle zur Ausführung des Gesetzes erforderlichen Vorschriften im Verordnungs-
wege zu erlassen. Nach der Natur dieser Vorschriften, welche organisatorische
und in einzelnen Fällen auch zivilrechtliche und prozessuale Anordnungen zu
umfassen hätten, würde jene Verpflichtung ohne Beeinträchtigung der konstitutionellen
Rechte der Landesvertretungen nicht auszuführen sein. Ueberhaupt aber bedürfe
das Verhältnis dieses Gesetzes zu den in den Bundesstaaten bestehenden Ein-
richtungen, insbesondere zu den Vorschriften des materiellen Eherechts einer
näheren Untersuchung und Feststellung, die zu mehrfachen Abänderungen und
Ergänzungen führen werde.
Endlich wurde geltend gemacht, daß der Termin für das Inkrafttreten des
Gesetzes — 1. Januar 1875 — in manchen Bundesstaaten mit Rücksicht auf
die noch zu treffenden Verwaltungseinrichtungen entschieden verfrüht wäre.
Demzufolge beantragte der Ausschuß: „Der Bundesrat wolle dem vom
Reichstage beschlossenen Entwurf die Zustimmung nicht erteilen, dagegen den
Herrn Reichskanzler ersuchen, unter Beteiligung der Bundesregierungen einen
Gesetzentwurf über die Einführung der obligatorischen Zivilehe und die Beur-
kundung des Personenstandes aufstellen zu lassen und denselben baldthunlichst
dem Bundesrat zur Beschlußnahme vorzulegen."
Der bayerische Bevollmächtigte gab die Erklärung ab: daß er, wenn auch
mannigfache und beachtenswerte Gründe dafür geltend gemacht werden können,
daß die Einführung der Zivilehe und eine Abänderung der betreffenden Vor-
schriften über die Führung der Personenstandsregister auch in Bayern schwer
zu entbehren sei, sich doch nicht in der Lage befinde, dem eben gestellten Antrage