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3. diesen Ausschuß zu ermächtigen, nach seinem Ermessen Sachverständige,
von deren Mitwirkung er eine Förderung der ihm gestellten Aufgabe
erwarten zu dürfen glaubt, mit beratender Stimme zuzuziehen.
Der Beschluß erfolgte mit großer Mehrheit, namentlich auch unter Zu—
stimmung Bayerns.
Am 14. Dezember 1874 hatte der Justizausschuß seinen Gesetzentwurf,
betreffend Einführung der obligatorischen Zivilehe, fertiggestellt. 1) Derselbe
lehnte sich im großen und ganzen an das preußische Gesetz vom 9. März
1874 an.
Am 5. Januar 1875 machte sich das Plenum des Bundesrats über die
Ausschußanträge schlüssig. Das Resultat der Beratung war deren Annahme. 2)
Gegen den Entwurf stimmten Königreich Sachsen, beide Mecklenburg, Oldenburg,
Braunschweig, Schwarzburg-Rudolstadt, Reuß älterer Linie und Schaumburg-
Lippe.
Der badische Bevollmächtigte enthielt sich wegen Mangels an Instruktion
der Abstimmung mit der Erklärung, sich das Protokoll offen zu halten.
Der Großherzoglich mecklenburgische Bevollmächtigte erklärte: „Er sei beauf-
tragt, namens der beiden mecklenburgischen Regierungen gegen den Entwurf, als
wegen seiner prinzipiellen Grundlage für dieselben unannehmbar, zu stimmen.
Die Großherzoglichen Regierungen sind der Ansicht, daß die Einführung der
obligatorischen Zivilehe mit ihrem tiefen Eingriff in das gesamte, insbesondere
tirchliche Leben des Volkes prinzipiell bedenklich ist und ohne die allerdringendste
Notwendigkeit nicht gerechtfertigt werden kann, und daß deshalb, da eine solche
Notwendigkeit für die Gesamtheit der deutschen Bundesstaaten, und namentlich
für die beiden Mecklenburg als wesentlich protestantische Länder, nicht vorliegt,
für die reichsgesetzliche Einführung der obligatorischen Zivilehe es an der Vor-
aussetzung fehlt. Die mecklenburgischen Regierungen haben in dieser Ansicht
nur bestärkt werden können durch die anscheinend nicht günstigen Erfahrungen,
welche man in Preußen seit dem kurzen Bestehen der obligatorischen Zivilehe
mit dem Einfluß derselben auf die kirchlichen Trauungen gemacht hat, und sie
können es nicht gerechtfertigt halten, daß man mit dem Vorgehen der Reichs-
regierung auf diesem Gebiete nicht gewartet hat, bis in Preußen die Wirkungen
des betreffenden Gesetzes amtlich konstatirt vorliegen."“
Der Königlich sächsische Bevollmächtigte erklärte: „Die sächsische Regierung
kann sich nicht entschließen, dem vorliegenden Gesetzentwurfe zuzustimmen, teils
aus Rücksicht auf die in den verschiedensten Kreisen der sächsischen Bevölkerung
1) Eine Analyse desselben s. in der „Nat.-Ztg.“ Nr. 599 v. 24. 12. 74 und der
„Nordd. Allg. Ztg.“ Nr. 301 v. 25. 12. 74. Die Versehung des Entwurfs mit Motiven
blieb bis zur Einbringung desselben in den Reichstag vorbehalten.
2) Als Verfasser der Motive gilt der Geh. Justizrat Dr. Stölzel, der auch einen
hervorragenden Anteil an dem preußischen Zivilehegesetzentwurf hatte.