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an die Regierung gelangten zahlreichen Kundgebungen gegen die Einführung der
Zivilehe, teils deshalb, weil der dem Gesetzentwurfe neu einverleibte dritte Ab—
schnitt — welcher insbesondere auch die das Recht zur Eheschließung beschränkenden
Vorschriften in einer an sich nicht unbedenklichen Weise verändert — nicht nur
durch die partielle Regelung des materiellen Eherechts, die er enthält, den künftigen
Bestimmungen des bürgerlichen Gesetzentwurfs vorgreift, sondern auch durch die
Einreihung seiner Vorschriften in das im übrigen unberührt bleibende partikulare
Recht der Einzelstaaten erhebliche Schwierigkeiten und neue Notstände herbei—
zuführen droht.“ 1)
Am 25. Januar 1875 nahm der Bundesrat Stellung zu den Beschlüssen
des Reichstags über das Zivilehegesetz. Man stimmte in allem hiermit überein.
Die Erörterungen ergaben bezüglich des Einführungstermins, daß es unmöglich
war, denselben früher als am 1. Januar 1876 eintreten zu lassen. Für einzelne
Staaten, so für Württemberg und Sachsen, war die Vereinbarung umfassender
Landesgesetze mit den Landesvertretungen erforderlich, welche vor dem Herbst
1875 nicht zu erzielen war.
Gesetz über die Beurkundung des Personenstandes und die Eheschließung
vom 6. Februar 1875 (Reichs-Gesetzbl. S. 23).
Ueber den Tisch des Bundesrats bei Beratung des Zivilehegesetzes im
Reichstag (Januar 1875) schrieb ein süddeutsches Blatt: Der Platz des Reichs-
kanzlers blieb leer. Als Fürst Bismarck sich vor den Ferien zuletzt auf dem-
selben zeigte, bildete das weiße Taschentuch, welches er anhaltend in der Hand
hielt, nicht sowohl ein Friedenssignal nach der aufregenden „Kanzlerkrisis“, als
ganz prosaisch das Zeichen eines tüchtigen Schnupfens, der auch jetzt noch nicht
gehoben zu sein scheint. Nicht selten sprach von seinem Platze am Bundesrats-
tisch während des Reichskanzlers Abwesenheit der bayerische Justizminister
Dr. Fäustle, und auch er behauptete sein Anrecht auf diesen Platz, von welchem
aus er den nationalen Rechtseinheitsgedanken kräftig vertrat und sich in an-
sprechender wirksamer Rede dem Anströmen der Klerikalen gewachsen zeigte.
Nächst Dr. Fäustle, machte den besten Eindruck als Redner der preußische Unter-
staatssekretär Dr. Friedberg; doch bekundete derselbe, im Gegensatz zu der prak-
tischen Art Fäustles, mehr den bureaukratisch geschulten Beamten und glatten
Dialektiker, als eine durch eigene Ideen imponirende Persönlichkeit, was übrigens
1) Nach der „Nat.-Ztg.“ Nr. 9 v. 7. 1. 75 wurden zu dem Gesetzentwurf von ver-
schiedenen Seiten Anträge ziemlich umfangreichen Inhalts vorgelegt, über welche lebhafte
Debatten stattfanden. Die überwiegend große Mehrzahl derselben ist aber abgelehnt und
durch die Annahme nur einzelner Amendements der Entwurf nach den Ausschußanträgen
nicht eben wesentlich abgeändert worden. Die frühere grundsätzliche Opposition hielt ihren
Standpunkt fest und es stimmten schließlich u. a. die beiden Mecklenburg, Braunschweig,
Oldenburg gegen das ganze Gesetz. Auch in den Motiven sind noch einige Aenderungen
beliebt worden.