— 254 —
Beratung dieser Vorschriften kam es im Bundesrat zu keiner Einigung und es
wurde die Beschlußfassung auf den Antrag der Hansestädte vertagt. Die Gründe
dieser Vertagung beruhten nicht allein auf dem Widerspruch der hanseatischen
Bevollmächtigten, sondern zumeist auf den zahlreichen, jener Opposition zur
Seite stehenden Eingaben aus allen Teilen der norddeutschen Küstenstaaten,
welche übereinstimmend gegen die zu umfangreiche theoretische Prüfung gerichtet
waren und der Befürchtung Raum gaben, jene letztere könnte der Lust zum
seemännischen Beruf in erheblicher und schädlicher Weise Abbruch thun. Man
war geneigt, im Sinne dieser Petitionen den Entwurf abzuändern und dabei
den Vorschlägen der Hansestädte mehr als bisher Rechnung zu tragen.
Am 25. September 1869 wurde das neue Prüfungsverfahren von dem
Bundesrat in einer 5 volle Stunden währenden Sitzung festgestellt. Bekannt-
machung vom 25. September 1869 (B.-G.-Bl. S. 660). Dabei war die
Arbeit noch immer ein Stückwerk, denn der Bundesrat hatte sich den Erlaß
der Vorschriften über das Prüfungsverfahren und die Zusammensetzung der
Kommission ausdrücklich vorbehalten.
In den wichtigeren Streitpunkten war Preußens Ansicht gegen die der
Hansestädte und Oldenburgs durchweg obenauf geblieben, obgleich von Olden-
burg Geh. Rat Buchholtz und von Bremen Senator Gildemeister eigens dieses
Gegenstandes wegen nach Berlin gekommen waren, anstatt sich durch den braun-
schweigisch -oldenburgischen und den hanseatischen Geschäftsträger vertreten zu
lassen. Die Wortführer der Nordseeinteressen (Provinz Hannover eingeschlossen)
fochten namentlich dafür, daß der Kursus halbjährlich sei statt jährlich, damit
der Seemann, wenn er von weiter Fahrt heimkehrt, um seine theoretische
Bildung zu vervollständigen, nicht unter Umständen viele Monate lang müßig
am Lande zu liegen braucht. Sie faßten auch den Prüfungszwang als einen
strikt zu interpretirenden auf, und wollten deswegen Flächen= und Körper-
berechnung, Kubikwurzelausziehen u. dgl. gestrichen haben. Ihre Majorisirung
durch Preußen, ohne Rücksicht auf die Stimmung in den seemännischen Kreisen
Hannovers und Schleswig-Holsteins, ließ es in den nautischen Kreisen doppelt
bedauern, daß der Reichstag die Mitfeststellung dieses tief ins Leben eingreifenden
Prüfungsverfahrens nicht in Anspruch genommen und durchgesetzt hatte.)
*) Wie der „Zeitung für Norddeutschland“ berichtet wurde, hatte der Bundeskanzler
von dem Falle des Schiffes „Lesmona“, deren Mannschaft sich weigerte, das Schiff gegen
die Angriffe chinesischer Seeräuber zu verteidigen, Veranlassung genommen, auf die Frage
einzugehen, wie der Wiederkehr ähnlicher, der deutschen Rhederei und Flagge nachteiligen
Vorfälle vorzubeugen sei. Da als Hauptgrund, aus welchem deutsche Seeleute meist nicht
fechten wollen, die Unsicherheit wegen ihres und ihrer Hinterbleibenden künftigen Loses im
Falle der Verstümmelung oder des völligen Unterganges anzusehen war, so batte Graf
Bismarck Erkundigungen einziehen lassen, wie es in anderen Ländern, namentlich in Eng-
land und Amerika, nach dieser Richtung hin stehe, und das Ergebnis derselben in einer
besonderen Denkschrift den Regierungen der Seestaaten zugestellt.