Full text: Fürst Bismarck und der Bundesrat. Fünfter Band. Der Bundesrat des Deutschen Reichs (1881-1900). (5)

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Momente fehlten vollständig; es gab in seinem Schoße nichts, was einer Krisis 
ähnlich gesehen hätte, keinen Zusammenstoß mit dem machtvollen Kanzler, ja 
nicht einmal eine Meinungsverschiedenheit in einer kardinalen Frage. Die 
Session verlief so glatt, daß Bismarck auch nicht einmal Anlaß nahm, sich im 
Bundesrat zu zeigen. Möglich, daß die in der früheren Session vorausgegangene 
ablehnende Haltung des Bundesrats in mehreren Fragen, die er zur Sprache 
gebracht hatte (Reichseisenbahnprojekt, Eisenbahntarifreform) einen Stachel 
zurückgelassen hatte, und daß er sich der Gefahr, seine Vorlagen in das Archiv 
des Bundesrats wandern zu sehen, nicht aufs neue aussetzen wollte. 
Vom Bundesrat wurde also Bismarck in seinen Plänen jetzt nicht mehr 
gestört; aber um einen Entwurf in die Gesetzsammlung zu bringen, dazu 
bedurfte es ja auch noch des Reichstags, und dieser Reichstag sah sich beim Beginn 
unserer Session schlimm an. Den auf den 27. Oktober 1881 angesetzten all- 
gemeinen Reichstagswahlen war eine Wahlkampagne von ungewöhnlicher Heftig- 
keit vorausgegangen; bestand doch bei gewissen Leuten der Wunsch, alle Liberalen 
in eine große liberale Partei zusammenzufassen und dieses Ziel, da es nicht 
möglich war, eine Verständigung mit positiven Grundlagen zu erreichen, 
mindestens negativ in der gemeinsamen Frontrichtung gegen die Konservativen zu 
erreichen, welche man bezichtigte, in Verbindung mit dem Zentrum der Reaktion 
— in des Wortes verwegenster Bedeutung — Thür und Thor öffnen zu wollen. 
Hinter dieser Anklage gegen die Konservativen aber versteckte sich lediglich die 
Bekämpfung der Regierungspolitik, wenn man es überhaupt noch für nötig 
fand, seine Absichten zu verstecken. Im allgemeinen aber ging man mit der 
Sprache offen heraus, sogar bis zur Zuspitzung der Wahlbewegung auf die 
Parole: Fort mit Bismarck! Auch darüber ließ man keine Zweifel, was man 
mit diesem Wunsche zu erreichen hoffte: einmal die Ausbildung des Systems, 
das heißt die Ersetzung einer planvollen, zielbewußten Regierung durch eine 
der Führung wechselnder Moajoritäten unterstellte; sodann: die Beseitigung der 
Sozialpolitik, um womöglich auf die Politik des laisser-faire zurückzukommen, 
welche im Namen der Freiheit den wirtschaftlich Stärkeren das Recht der 
unbeschränkten und gewissenlosen Ausbeutung der Schwachen zugesteht. Es 
wurde also gleichzeitig die Regierungsform und die Regierungspolitik in Frage 
gestellt, und als die ersten Nachrichten über die Wahlergebnisse einen entschiedenen 
Sieg der Liberalen zu prognosticiren schienen, beeilte sich die liberale Presse, 
das Facit der Wahlbewegung dahin festzustellen: daß die Nation sich gegen 
die Politik Bismarck ausgesprochen habe! Immerhin schien die Situation des 
Reichskanzlers eine prekäre, da derselbe nur etwa auf ein Viertel der Stimmen 
im Reichstag zählen konnte. Bismarck lief sich jedoch dadurch nicht irre machen. 
In der Kaiserlichen Botschaft vom 17. November 1881 verkündete er ein 
Programm von einzig dastehender Größe, mit dem er den Reichstag förmlich 
an seine Fersen kettete.
	        
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