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werden konnte. Die „Norddeutsche Allgemeine Zeitung“ bemerkte mit Be—
zug hierauf: „Es kann keinem Zweifel unterliegen, daß die Souveränität
im Reich bei der Gesamtheit der Bundesstaaten liegt und im Bundesrat ihre
Vertretung findet. Nach Artikel 11 der Reichsverfassung steht dem Kaiser als
König von Preußen das Präsidium zu. Auf die Frage der Souveränität
kommt es aber in dem zur Erörterung stehenden Falle gar nicht an und also
auch nicht darauf, daß der Kaiser „nur eine Anzahl“ bestimmter Rechte ausübt.
Entscheidend ist, daß zu den Kaiserlichen Rechten das gehört, daß der Kaiser
mit dem Reichstage verhandelt. Er ist das Organ, welches verfassungsmäßig
den Verkehr des Bundesrats mit dem Reichstag vermittelt. Ein Verkehr, welcher
mit Umgehung dieses Organs stattfände, wäre verfassungswidrig. Der Artikel 16
der Reichsverfassung bestimmt ausdrücklich, daß die Vorlagen, über welche der
Bundesrat sich schlüssig gemacht hat, um Namen des Kaisers“ an den Reichs-
tag gebracht werden müssen. Dieses Recht des Kaisers tritt weiter in dem
Artikel 12 zur Erscheinung, welcher bestimmt, dem Kaiser stehe es zu, den
Reichstag zu berufen, zu eröffnen, zu vertagen und zu schließen. Die an den
Reichstag gerichtete Botschaft bewegt sich also vollständig innerhalb des Gebietes,
welches nach der Verfassung dem Kaiser zusteht. Was hier die Behauptung
soll, die Einwirkung auf die Geschäfte des Reichstags sei lediglich Sache des
Bundesrats, ist gar nicht verständlich. Es handelt sich — wir heben dies noch-
mals hervor — darum, daß der Kaiser das verfassungsmäßige Organ ist, durch
welches der Verkehr mit dem Reichstag stattfinden muß."“
Die „National-Zeitung“ hielt vorstehende Deduktion in einem Punkt für
verfehlt. „Wir bestreiten, daß der Kaiser nur als „Organ des Bundesrats“
mit dem Reichstag verhandeln könnte. Wir beharren bei der Ansicht, daß die
Kaiserliche Gewalt im Reiche, trotz ihrer Beschränkung auf eine Anzahl bestimmter
Rechte, eine wirkliche monarchische Gewalt ist, aus welcher sich daher die Be-
fugnis zu Verhandlungen mit der Volksvertretung des Reiches von selbst er-
giebt. Die Zweckmäßigkeit der Anwendung dieses Rechts im einzelnen Falle
ist eine Frage für sich.“
In der Besprechung, die Bismarck am 7. April 1883 mit dem Abgeord-
neten Freiherrn v. Hertling hatte, 1) beklagte der Kanzler, daß bei dem Reichs-
tagsbauprojekt der Reichstag zum maßgebenden Mittelpunkt gemacht sei, während
doch von Rechts wegen der Bundesrat hätte Berücksichtigung finden müssen; dieser
sei der Souverän in Deutschland oder vielmehr die Fürstlichen Vollmachtgeber
desselben; ihm gebühre die Repräsentation des Reichs.2)
1) Vergl. mein Werk: „Fürst Bismarck und die Parlamentarier“ Bd. I. 2. Aufl.
S. 363.
2) Ueber die Stellung des Volkswirtschaftsrats hinter den Bundesrat vergl. die
Reichstagsrede Bismarcks vom 1. Dezember 1881.