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eine Mißachtung des Reichstags wäre, dann weiß ich nicht, was man so
bezeichnen soll. Nun stehen aber in dieser Beziehung sich die beiden Faktoren
der Gesetzgebung vollkommen gleich.“ «
Zum siebzigsten Geburtstag Bismarcks bereitete auch der Bundesrat eine
Ovation für seinen Vorsitzenden. Im Laufe des Vormittags begab sich der Bundes-
rat in das Reichskanzler-Palais, und der bayerische Staatsminister Dr. v. Lutz
ergriff für die hohe Körperschaft das Wort zu folgender Anrede:
„In allen deutschen Landen ist heut ein Festtag! Die Nation gedenkt heute
in gehobener Stimmung und mit herzlicher Teilnahme des Reichskanzlers. Sie
feiert ein Familienfest mit Ihnen, der Sie als der Ersten einer den Gedanken
des neuen Deutschen Reichs gefaßt haben und unserem erhabenen Kaiser mit
weisem Rate zur Seite gestanden sind, als es die Einigung der deutschen
Fürsten und Völker zu einem achtunggebietenden Alldeutschland galt. Die
Nation beglückwünscht Eure Durchlaucht, der Sie seit der Begründung des von
Generationen ersehnten Reiches unter der Aegide des Kaisers und der mit ihm
verbundenen Regierungen die Geschicke Deutschlands als einen Hort des Friedens
leiten — des Friedens unter den Völkern und unter den verschiedenen Schichten
der Gesellschaft. An diesem denkwürdigen Tage, am siebzigsten Geburtstage
Eurer Durchlaucht, können auch die Bevollmächtigten zum Bundesrate, von
denen so mancher ein unmittelbarer Zeuge Ihrer Großthaten ist und in poli-
tischer Arbeit seit langer Zeit Freud'’ und Leid mit Ihnen geteilt hat, es sich
nicht versagen, Eurer Durchlaucht die innigsten Glückwünsche darzubringen und
der Hoffnung lebhaften Ausdruck zu geben, daß es denselben vergönnt sein
möge, Eure Durchlaucht, den tapferen Ritter des Reichs und seiner Verfassung,
noch lange, lange Jahre in Kraft und Gesundheit an ihrer Spitze zu sehen.
Möge diese Hoffnung sich erfüllen zum Heile des geliebten deutschen Vater-
landes."“
Bismarck drückte in seiner Erwiderung seine Freude darüber aus, den
Bundesrat am heutigen Tage bei sich zu sehen. Er betonte, daß von allem,
was ihm beschieden gewesen, mit zu schaffen und mit zu fördern, ihm die im
Bundesrate verkörperte Einheit der Nation das Kostbarste und Liebste sei. An
anderer Stelle habe er ausgesprochen, daß die deutsche Einheit mehr wie je
und mehr, als man in der öffentlichen Meinung zu wissen scheine, in der
Bundestreue der Fürsten ihre festeste Stütze gefunden habe. Nächst dem Danke
gegen Gott und dem Danke gegen den Kaiser gebühre Dank den Fürsten
Deutschlands, den erhabenen Bundesgenossen für die Verwirklichung der natio-
nalen Einheit; aber bei allem diesem würde es nicht gelungen sein, dem neuen
Reich einen so guten Fortgang und herrliche Gestalt zu gewähren, wenn nicht
in der Auswahl der zum Bundesrat entsandten Herren eine glückliche Hand
gewaltet und diese nicht von dem Geiste durchdrungen wären, aus dem das
Reich hervorgegangen ist. Er habe schon früher dem Bundestag angehört und