Full text: Fürst Bismarck und der Bundesrat. Fünfter Band. Der Bundesrat des Deutschen Reichs (1881-1900). (5)

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sich unser Volksschulwesen in Bezug auf sein Verhältnis zur Religion gegen- 
wärtig befindet."“ 
Mit der Konfessionalisirung oder Desimultanisirung der Schule ging 
Puttkamer nur mit großer Vorsicht vor. 
Am 23. Oktober 1879 hielt der Kultusminister v. Puttkamer in Essen 
bei einem Festmahl eine Rede, von der die „Nat.-Ztg.“ bemerkte, „es sei eine 
solche nicht gehört worden, seitdem es eine preußische Geschichte giebt“". Nach 
dem Berichte einer dortigen Zeitung sprach der Minister zu den Versammelten 
folgendermaßen: 
„Sie haben vielleicht gestern die „Kölnische Zeitung“ gelesen und erfahren 
wie unser Kaiser es über sich gebracht hat, seine Herzenswünsche dem Wohle 
seines Volkes zum Opfer zu bringen. Er hat es gethan im Bewußtsein seiner 
Pflicht, er hat ein Bündnis geschlossen, welches hoffentlich lange Jahre über- 
dauern und Europa den Frieden erhalten wird. Lassen Sie uns deshalb ein- 
stimmen in den Ruf: „Seine Majestät der Kaiser lebe hoch!“ 
Um das Auffallende dieser Rede zu ermessen, muß man bedenken, daß 
bis zur Toaststunde über den Inhalt und das Ergebnis von zwei Bismarcks- 
Unterredungen in Wien von der Regierung öffentlich nicht gesprochen worden 
war, und daß auch die ihr nahestehende Presse weiter nichts geoffenbart hatte, 
als daß Deutschland und Oesterreich zusammen der Erhaltung des Friedens 
zu dienen und ihre gegenseitigen wirtschaftlichen Bande enger zu knüpfen 
bestrebt sein wollten. Und nun erfuhr die Welt mit einem Schlage aus einer 
Tafelrede des Kultusministers, daß der Kaiser Wilhelm der Notwendigkeit ge- 
horcht, in Wien ein Bündnis gegen Rußland zu schließen, denn nur das 
konnte aus dem Toaste herausgelesen werden. Die Regierungspresse meinte 
den Fall mit der Versicherung erledigen zu können, der Kultusminister sei über 
einen Vorgang der auswärtigen Politik so unwissend wie ein neugeboren 
Kindlein, sintemalen nach den durch die Reichsverfassung geordneten Kompetenz- 
verhältnissen die auswärtigen Angelegenheiten vor das preußische Kultusministerium 
nicht gehören. 
Auffallend scharf ging Bismarck gegen die von dem Kultusminister 
v. Puttkamer einseitig angeordneten orthographischen Neuerungen vor. Am 
28. Februar 1880 richtete er in seiner Eigenschaft als Reichskanzler einen 
Erlaß an die Staatssekretäre, betreffend den Gebrauch der bisher üblichen 
Rechtschreibung im Reichsdienst, „,bis im Wege der Reichsgesetzgebung 
oder einstimmigen amtlichen Vereinbarung eine Abänderung herbeigeführt 
sein wird“. 1) 
1) Noch im Dezember 1895 befürwortete Bismarck in den „Hamburger Nachrichten“ 
eine Aufhebung der Puttkamerschen Schul-Orthographie. Der Artikel schloß: Ein Not- 
schrei nach Beseitigung der orthographischen Verwirrung, die jetzt herrscht, wäre heute am 
Platze. Im deutschen Volke besteht kein Bedürfnis nach Reglementirung der Recht-
	        
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