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„Die Ausübung der Gerichtsbarkeit in den deutschen Schutzgebieten sowie
die Mitwirkung der deutschen Behörden bei der Ausübung dieser Gerichts-
barkeit und die hierbei zur Anwendung kommenden Vorschriften des bürger-
lichen Rechts und des Strafrechts werden durch Kaiserliche Verordnung geregelt.
Die auf Grund dieses Gesetzes erlassenen Verordnungen sind dem Bundesrat
und dem Reichstag sofort oder bei deren nächstem Zusammentreten zur Kenntnis-
nahme vorzulegen."
Der Bundesrat beschloß zu diesem Entwurfe eine nicht unwesentliche
Abänderung in dem Sinne, daß für die Kaiserlichen Verordnungen, denen die
Regelung dieser Angelegenheit überlassen bleiben soll, die vorherige Zustimmung
des Bundesrats einzuholen sei. Offiziös war diese Abweichung von der
Vorlage „als geringe Modifikation“ bezeichnet worden, 1) thatsächlich übertrug
sie das Verordnungsrecht von einem auf zwei Faktoren und veränderte mithin
die ganze staatsrechtliche Basis desselben in der Richtung auf das föderalistische
Prinzip. 2) Da Kontroversen föderalistischer Natur im Reiche möglichst vermieden
werden müssen, scheint Bismarck resp. die von ihm abgegebene preußische
Stimme sich dem bundesstaatlichen Verlangen in diesem Falle gefügt und
keinen Widerspruch erhoben zu haben. Fürst Bismarck will — so wurde
der „Ostpreußischen Zeitung“ am 22. Dezember 1885 aus Berlin geschrieben —
wie man hört dem Beschluß des Bundesrats kein Hindernis in den Weg
legen. Es entspricht das seinem System, überall da, wo nicht höhere nationale
Interessen im Spiele sind, den Bundesregierungen, also den Einzelstaaten,
entgegenzukommen und den föderativen Standpunkt strenge zu wahren. Dieser
1) Vergl. den Bericht über die Bundesratssitzung vom 17. Dezember 1885 in der
„Nordd. Allg. Ztg.“ Nr. 592 v. 18. 12. 85.
2) Die „Nat.-Ztg.“ griff in der Nr. 594 v. 20. 12. 85 die Stellungnahme des
Bundesrats in dieser Frage lebhaft an. „Will man den Verordnungsweg als solchen für
diese ungewöhnlichen Uebergangsverhältnisse nicht ganz ausschließen, so liegt kein Grund
vor, die Exekutive in der ihr gewährten freien Bewegung durch einen der gesetzgebenden
Faktoren, dessen Mitwirkungsrecht nicht größer ist als das des andern, zu beschränken.
Nur auf das politisch zulässige Maß und den Umfang der diskretionären Befugnisse und
auf die erforderliche Decharge käme es an. Wenn der Bundesrat, wie er durch seinen
Beschluß ausdrückt, an dem unkontrolirten Verordnungsrecht selber teilzunehmen beansprucht,
so würde dasselbe nicht nur für die Zeit, in welcher der Bundesrat nicht versammelt ist,
ruhen müssen, was dem Charakter Kaiserlicher Verordnungen ohnehin schon widerspricht,
sondern der Reichstag würde durch diese Mitwirkung gewissermaßen herausgefordert, zu
fragen, aus welchem Grunde Maßregeln, die der Beschlußfassung durch die Vertretung der
verbündeten Regierungen unterbreitet werden können, der Beschlußfassung durch die Volks-
vertretung entzogen bleiben müssen. Entweder das eine oder das andere, entweder Ver-
ordnungen oder Gesetze. Das vom Bundesrat beschlossene Mittelding findet in Bezug auf
gesetzgeberische Akte in der Verfassung nirgend eine Analogie und würde den Reichstag für
Ausnahmefälle zu einem Faktor zweiter Klasse machen, den Einheitskörper der Nation
hinter die „bundesstaatlichen“ Interessen setzen, wozu in einer Frage, die durch die breiteste
populäre Stimmung getragen werden soll, am wenigsten Anlaß vorzuliegen scheint.“