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Weise gebunden fühlte. Zur Minderheit, die gegen das Gesetz stimmte,
gehörten unter anderm Württemberg, Baden, Oldenburg, die Hansestädte.“
Es war das erste Mal, daß die Autorität des Staatsministers v. Boetticher
eine schwache Einbuße erlitt. Die „National-Zeitung“ schrieb in der
Nr. 378 vom 7. 7. 87 unter der Ueberschrift: „Das Kunstbuttergesetz und
der Bundesrat“: Es hat wohl schwerlich irgend jemand erwartet, daß Herr
v. Boetticher infolge des Beschlusses des preußischen Ministeriums, im
Bundesrat für die agrarische Entstellung des Kunstbuttergesetzes zu stimmen,
seine Entlassung nehmen würde; um das zu glauben, hätte man die Position
des Herrn v. Boetticher im Organismus der Reichs- und der preußischen
Regierung sehr unrichtig beurteilen müssen. Man hat in dem beschleunigten
Antritt seines Sommerurlaubs lediglich einen natürlichen Beweis von Selbst—
achtung erblickt; es schien nur selbstverständlich, daß ein Minister, welcher
einen Beschluß derart bekämpft hat, wie Herr v. Boetticher, den § 2 des
Kunstbuttergesetzes, nicht bei der Sanktionirung desselben persönlich mitwirken
will. Wenn jetzt offiziös angedeutet wird, Herr v. Beetticher selbst habe
sich nachträglich für die Annahme des Reichstagsbeschlusses erklärt, so sollte
man das eigentlich für eine chnische Beleidigung des Herrn Staatssekretärs
halten, wenn auch für eine unbeabsichtigte, aus allzu großem Diensteifer ent-
sprungene. Indes wir lassen das auf sich beruhen; es ist nicht unser Metier,
Minister gegen ihre Offiziösen in Schutz zu nehmen. Uns interessirt an dem
ganzen Vorgang lediglich die politische Seite, die dadurch erwiesene Unbe-
grenztheit des agrarischen Einflusses. Diese allerdings erscheint bei jeder neuen
Betrachtung der Angelegenheit immer krasser. Als uns vor etwa zehn Tagen
zu Ohren gekommen war, daß die Zustimmung des Bundesrats wahrscheinlich
geworden, brachten wir die Rede des Herrn v. Beoetticher aus der dritten
Lesung, worin er besonders die Undurchführbarkeit des Mischungsverbotes dar-
gelegt hatte, in Erinnerung. Es ist ebenso interessant, sich seine mehr prin-
zipiellen Ausführungen aus der zweiten Lesung zu vergegenwärtigen. (Folgt
ein Abdruck nach den stenographischen Berichten.) „Die Aufrechthaltung der
Autorität der Regierung in den gesetzgeberischen Verhandlungen galt bisher in
Preußen und im Reich als ein wichtiges Prinzipz; man wurde häufig belehrt,
daß dieselbe eine erste Notwendigkeit sei, wenn wir nicht in den Parlamen-=
tarismus hineingeraten sollten. Wie es scheint, hat selbst dieser nichts Ab-
schreckendes mehr, sobald es sich um die Förderung von Interessen der „Herren
Erwerbsgenossen“ der agrarischen Mehrheit handelt.“ 1)
1) Ich erwähne noch die in Kohls Bismarck-Regesten übersehenen dem Bundesrat
überreichten Gesetzentwürfe, betr. 1. die Verwendung gesundheitsschädlicher Farben bei der
Herstellung von Nahrungsmitteln, Genußmitteln und Gebrauchsgegenständen, Schreiben
v. Febr. 1887, „Nat.-Ztg.“ Nr. 101 v. 18. 2. 87, 2. die Abänderung des Reichsgesetzes
über den Verkehr mit Nahrungsmitteln, Genußmitteln und Gebrauchsgegenständen vom