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Kaiser Wilhelm als Allerhöchstdessen Nachfolger in der Regierung des König—
reichs Preußen die Kaiserwürde mit allen damit verfassungsmäßig verbundenen
Rechten und Pflichten übernommen. In tiefem Schmerze über den doppelten Ver—
lust, den das Königliche Haus und die Nation, innerhalb weniger Monate erlitten
haben, hat Seine Majestät der Kaiser mir den Auftrag zu erteilen geruht, dem
Bundesrate hiervon Kenntnis zu geben.
Seine Majestät der Kaiser, durchdrungen von der Größe der auf Aller-
höchstdessen Schultern gelegten Verantwortung, übernimmt dieselbe in dem
Pflichtgefühl des von Gott berufenen Nachfolgers Seines Hochseligen Großvaters
und Vaters und im Vertrauen auf den Beistand, den Er in der Erfüllung
der Kaiserlichen Pflichten bei Allerhöchstseinen hohen Bundesgenossen zu finden
sicher ist. Seine Majestät rechnet bei der Erfüllung der Ihm durch die Reichs-
verfassung gestellten Aufgaben mit Zuversicht auf die stets bewährte bundes-
freundliche Gesinnung und bereitwillige Mitwirkung der verbündeten Fürsten
und freien Städte. Als die oberste dieser Aufgaben betrachtet der Kaiser die
Aufrechterhaltung der Reichsverfassung und Schutz des Reichsgebiets wie eines
jeden innerhalb desselben geltenden Rechts. Dieser verfassungsmäßige Schutz
deckt die vertragsmäßigen Rechte der einzelnen Bundesstaaten mit der gleichen
Wirkung wie die Gesamtheit, und Seine Majestät der Kaiser erblickt in der
gewissenhaften Handhabung desselben eine Vertragspflicht Preußens und eine
der Ehrenpflichten, die dem Kaiser obliegen. Das bundesfeste Vertrauen der
deutschen Fürsten und freien Städte zu einander und ihre im Bundesrate
bethätigte Einigkeit haben das Reich gefestigt und stark und die gemeinsamen
Bestrebungen aller Bundesglieder für die Wohlfahrt Deutschlands fruchtbar gemacht.
Seine Majestät der Kaiser werden dieses Vertrauen und diese Einigkeit unter den
verbündeten Regierungen mit der gleichen Sorgfalt zu pflegen bemüht sein,
wie dies Seinen in Gott ruhenden Vorgängern gelungen ist. In der inneren
wie in der auswärtigen Politik will Seine Majestät Sich an die Wege halten,
auf denen Seine verewigten Vorgänger in der Kaiserwürde neben der Liebe
Ihrer Reichsgenossen das Vertrauen der auswärtigen Mächte dahin gewonnen
haben, daß dieselben in der Stärke des Deutschen Reiches eine Bürgschaft des
europäischen Friedens erblicken. Seine Majestät hat, um diese seine Absichten
zu verkünden, und um allen darüber verbreiteten Zweifeln persönlich entgegen-
zutreten, den Reichstag auf den 25. d. M. berufen und mich beauftragt, der
zuversichtlichen Hoffnung Ausdruck zu geben, daß Seine Mcajestät für die weitere
Durchführung der Absichten, von denen Seine verewigten Bäter seit der Her-
stellung des Reiches geleitet wurden, auf die bundesfreundliche Unterstützung
des Bundesrats werde rechnen dürfen.“
Der Königlich bayerische stimmführende Bevollmächtigte gab hierauf namens
der Versammlung dem tiefen Schmerze derselben über den doppelten Verlust,
welchen das Königlich preußische Haus und die Nation innerhalb weniger
Poschinger, Fürst Bismarck und der Bundesrat. V. 18