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Syntax, wo er sie fand. Hatte er eine Zeitung gelesen, so warf er sie achtlos
unter den Tisch. Die Diener brachten sie mir nachher und ich habe viele auf-
bewahrt, die mit den ergötzlichsten Randbemerkungen versehen sind.
Noch ausgiebiger waren diese Randbemerkungen natürlich, wenn er eine
politische Broschüre in die Hand nahm. Ich habe hier eine solche, betitelt
„Die Secession“, im Jahre 1881 erschienen, die er mir als Andenken über-
lassen hat. Sie wurde seiner Zeit, ohne Widerspruch zu erfahren, dem Ab-
geordneten Bamberger zugeschrieben. Sie ist mit Bleistiftnotizen bedeckt, fast
jede Seite zeigt solche.
Wurde dem Fürsten ein Konzept vorgelegt, so korrigirte er, auch wenn
er es selbst diktirt hatte, mit der peinlichsten Sorgfalt; es mußte bisweilen
zwei-, dreimal umgeschrieben werden. Er konnte sich niemals genug thun in
der Präzision und Klarheit des Ausdrucks, und daher kommt es, daß alle
Schriftstücke, die von ihm ausgegangen sind, ein geradezu klassisches Deutsch
enthalten. Mit Recht hat man ihn einen der größten Prosaiker der deutschen
Literatur genannt. Dabei bediente er sich immer der einfachsten und natürlichsten
Ausdrucksweise, vom Kanzleistil findet sich nie eine Spur. Rücksichtslos be-
seitigte er alle Superlative; je schlichter das Wort, desto größer der Eindruck,
behauptete er. Ich brauche nur an das geflügelte Wort vom „ehrlichen Makler"“
zu erinnern, um darzuthun, wie zutreffend diese Auffassung ist.
Auf seine parlamentarischen Reden bereitete er sich sorgfältig vor, aber
nur selten machte er sich dabei Notizen. Selten hat er mehr als ein Quart-
blatt mit in den Reichstag genommen und seine glänzendsten Reden sind die
völlig improvisirten gewesen. Meine Aufgabe war es, mich ebenfalls auf das
Thema, das im Reichstage erörtert werden sollte, nach Möglichkeit vorzubereiten.
Wenn ich dann, neben ihm am Bundesratstische sitzend, ihm während einer
Rede eine meiner Notizen zuschob, so benutzte er diese mit erstaunlicher Geistes-
gegenwart.
Unterstützt wurde er in seiner ganzen Geistesarbeit durch ein eisernes Ge-
dächtnis, das nie seinen Dienst versagte, und das ihn befähigte, alles Beweis-
material für seine Ausführungen, Thatsachen und Zahlen und, wenn es sein
mußte, auch Citate, jederzeit vollständig zur Verfügung zu haben. Dieses Ge-
dächtnis hat ihn auch heute noch nicht verlassen. Als ich ihn vor drei Jahren
in Varzin besuchte, saßen wir abends stundenlang allein beisammen und er
erzählte fast ununterbrochen. Dabei passirte es nie, daß ihm ein Name fehlte
oder daß er bei Angabe eines Datums oder einer Zahl unsicher war.
Die Gabe, sich rasch zu entschließen und seinen Entschlüssen die präziseste
Form zu geben, war ihm in wohl einzig dastehender Weise verliehen. Ich will
dafür ein paar sprechende Beispiele erzählen:
Eines Tages war der Justizminister Friedberg in Varzin zum Besuch und
nahm an dem gemeinschaftlichen Frühstück teil, während ich, wie gewöhnlich,