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Er diktirte uns dieses Programm sowie die Einladungsschreiben an die Groß-
mächte und eine Instruktion an unsere Botschafter, die noch in derselben Nacht
in chiffrirten Depeschen befördert wurde. Das Programm wurde demnächst von
allen Großmächten in seinem ganzen Wortlaute acceptirt. Nur ein einziges
Wort wurde, wenn ich mich recht erinnere, auf den Wunsch Englands geändert.
Als ich am nächsten Morgen mit dem Grafen Schuwaloff im Friedrichs-
ruher Park promenirte, äußerte sich dieser über den Fürsten fast genau mit
denselben Worten, wie Friedberg.
Eins der Geheimnisse seiner Erfolge war, daß der Fürst von der aus-
wärtigen Politik abgesehen, die er spielend leitete, eigentlich niemals zwei Eisen
im Feuer hatte, sondern immer nur ein großes Ziel verfolgte und deshalb zu
dessen Erreichung seine ganze konzentrirte Kraft einsetzen konnte. So hat er
nacheinander den Kulturkampf, die Wirtschaftsreform, die Einbeziehung Ham-
burgs in den Zollverein, die Verstaatlichung der Eisenbahnen u. s. w. be-
trieben. Langsam und zögernd ging er an Fragen heran, die auf einem ihm
fremden Gebiete lagen. Hatte er sich aber erst einmal auf diesem Gebiete
orientirt, so zog er alle Konsequenzen seiner neu gewonnenen Anschauungen
mit entschlossener Sicherheit.
Wie sich der Plan der Zolltarifreform bei Bismarck entwickelte.
Hierüber erzählt Tiedemann: Ich hatte mich von Jugend auf mit handels-
politischen Studien beschäftigt, schon als Gymnasiast hatte ich Lists System der
politischen Oekonomie gelesen, und während meiner Universitätszeit waren meine
ketzerischen Zweifel an den Dogmen des allein seligmachenden Freihandels nur
noch gewachsen. In meiner späteren amtlichen Thätigkeit als Landrat eines
industriereichen rheinischen Kreises hatte ich dann täglich Gelegenheit gehabt,
meine theoretischen Ansichten mit der Praxis zu vergleichen. Ich hatte aus
nächster Nähe gesehen, wie schwer namentlich unsere Eisenindustrie gegen die
englische Konkurrenz zu kämpfen hatte, die damals, im Anfange der siebziger
Jahre, infolge schwindelhafter Ueberproduktion den deutschen Markt mit Roh-
eisen und Eisenwaren überschwemmte, wie widerstandslos sie ferner der fran-
zösischen Konkurrenz gegenüberstand, die durch illoyal gehandhabte Ausfuhr-
Prämien begünstigt wurde. Vor meinen Augen waren die Hochöfen ausgeblasen,
die Hammerwerke in Stillstand geraten und Tausende von Arbeitern brotlos
geworden. Mit zwingender Gewalt hatte sich in mir die Ueberzeugung fest-
gesetzt, daß nur eine energische Schutzzollpolitik hier Wandel schaffen könne.
Auf Aeußerungen, die ich in diesem Sinne gelegentlich machte, reagirte der
Fürst anfänglich nur wenig oder gar nicht. Er war in freihändlerischen Tra-
ditionen aufgewachsen und hatte sich, von wichtigeren Aufgaben vollauf in An-
spruch genommen, seit Jahren daran gewöhnt, die Leitung unserer Handels-
politik Delbrück und Camphausen zu überlassen. Wohl mochten ihm im Laufe