Full text: Fürst Bismarck und der Bundesrat. Fünfter Band. Der Bundesrat des Deutschen Reichs (1881-1900). (5)

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Verteidigungssystems werden durch das Gesetz gar nicht berührt. Kann man 
dem gegenüber ohne die heilloseste Uebertreibung behaupten, daß unsere kirchen- 
politische Gesetzgebung beseitigt sei? Freilich, die oppositionelle Presse giebt sich 
die erdenklichste Mühe, den Thatbestand zu verdunkeln. Dieselben Blätter, welche 
noch vor wenigen Wochen bereit waren, dem Zentrum die weitgehendsten Kon- 
zessionen zu machen, ringen jetzt die Hände über die angebliche Niederlage des 
Staates oder sprechen gar von einem „Kanossagang“, um mit solchen und 
ähnlichen Redensarten urteilslose politische Kinder graulich zu machen. 
Ich wiederhole: Das Gesetz, wie es jetzt vom Abgeordnetenhause an- 
genommen worden, hätte in seiner Fassung besser sein können. Trotzdem be- 
haupte ich: Es bezeichnet einen wesentlichen Fortschritt auf der Bahn zu kirch- 
lichem Frieden, ohne der Autorität und Würde des Staates auch nur im 
geringsten Abbruch zu thun. Und deswegen habe ich es für meine Pflicht ge- 
halten, für dasselbe zu stimmen. 
Mit herzlichem Gruß bin ich Ihr ganz ergebener 
Tiedemann. 
In der Nr. 260 vom 25. September 1883 veröffentlichte das „Deutsche 
Tageblatt“ folgende Erklärung Tiedemanns: 
Wie von verschiedenen fortschrittlichen Zeitungen übereinstimmend mitgeteilt 
wird, hat Herr Senator Schwartz aus Wolgast in einer zahlreich besuchten 
liberalen Wählerversammlung auf eine Rede Bezug genommen, welche angeblich 
von mir in einer Versammlung des Vereins für Sozialpolitik gehalten ist. 
Hiernach soll ich gesagt haben: 
„Dem Arbeiter ist der Begriff von Recht und Gesetz vollständig abhanden 
gekommen. Er betrachtet den heutigen Zustand als einen Kampf der Gewalt 
mit der Gewalt, er beugt sich vor keiner sittlichen Idee mehr; hier muß vor 
allem eingegriffen werden. Das Mittelalter befolgte größtenteils das System 
der Zucht. In dem straffen Verhältnis zwischen Eltern und Kindern, Herr- 
schaft und Gesinde, Meistern, Gesellen und Lehrlingen, in den ländlichen Ver- 
bänden der Gutsherrlichkeit, in den städtischen der Zünfte und Korporationen 
wird notwendig jene Zucht der Gesinnung geschaffen, welche die Bildung ent- 
behrlich macht, die dennoch Zufriedenheit giebt mit dem bescheidenen und schlech- 
testen Lose, weil sie nicht aus der Gewohnheit kommt, das Los als eine gesell- 
schaftliche Notwendigkeit und göttliche Schickung zu betrachten." 
Die fortschrittlichen Blätter knüpfen an diese meine angeblichen Aeußerungen 
eine Reihe von Erörterungen, welche sich um folgende Sätze gruppiren: „Das 
ist, wie es scheint, der praktische Kern der neuesten Sozialpolitik. ...“ „In 
dem von Herrn v. Tiedemann belobten System nimmt die Volksschule eine 
völlig untergeordnete Stellung ein, so daß das Schulmonopol des Staates zum 
mindesten überflüssig erscheint....“ „Daß nach dem Bruch mit dem System 
Falk die heute herrschende Reaktion vor dem Gesetze Halt machen sollte, welches
	        
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