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den Kassen beizutreten, sei äußerst gering, und wo Krankenkassen beständen, da
seien sie meist durch Zwang eingeführt. So habe sich die Hoffnung, welche
man auf die Gesetzgebung von 1876 gesetzt, in keiner Weise erfüllt. Auch von
einem Vorgehen der Gemeindebehörden mit Ortsstatuten sei wenig zu erwarten;
oft fehle es in diesen Instanzen an Intelligenz und Energie, um so mehr als
sich dort oft der Einfluß solcher Personen geltend mache, welche kurzsichtiger-
weise glauben, am Nichtzustandekommen der Hilfskassen ein Interesse zu
haben.
Der vorliegende Entwurf schlage deshalb die Einführung eines allgemeinen
direkten Zwanges vor. Dann entstehe aber die Frage, wie weit dieser Zwang
auszudehnen sei? Die Antwort müsse lauten: so weit als möglich auf die-
jenigen Klassen, für die derartige Unterstützungen in Krankheitsfällen wünschens-
wert seien. Wie weit dies möglich sei, das hänge von den Mitteln zur
Durchführung des Zwanges ab. Das Mittel könne nun niemals in direktem
Zwange gegen den Arbeiter dahin bestehen, daß er sich versichere. Die Er-
füllung dieser Obliegenheit würde bei dem vielfachen Orts= und Berufswechsel
der Arbeiter keine Polizeibehörde kontrollieren können. Die Sicherung müßte
deshalb in einem Zwange gegen die Arbeitgeber gesucht werden und könne
durch Gesetz nur insoweit eingeführt werden, als ein Arbeitgeber vorhanden
sei, welchen man verantwortlich machen könne. Daraus ergebe sich die Be-
schränkung auf Arbeiter, die in einem stehenden Gewerbebetriebe in ordentlicher
Weise ausschließlich beschäftigt sind. Neben den Klassen, welche demgemäß
unter I A 1 bis 3 der Grundzüge aufgeführt sind, ständen die weiteren,
unter I B aufgeführten Kreise, für welche die Einführung eines allgemeinen
Versicherungszwanges zwar nicht durch Gesetz angeordnet werden könne, aber
unter Umständen wünschenswert sei. Hier solle es bei dem bisherigen Zustande
mit der Maßgabe verbleiben, daß der höheren Verwaltungsbehörde eine An-
ordnung vorbehalten werde, falls die Gemeindebehörde ihrer Pflicht nicht
genügt.
Sehr zweifelhaft sei es, ob eine Ausdehnung der zwangsweisen Kranken-
versicherung auf die landwirtschaftlichen Arbeiter zweckmäßig sei, und es sei
bisher nicht gelungen, die hier obwaltenden Schwierigkeiten befriedigend zu
lösen. Denn die Verhältnisse dieser Arbeiter seien der Regel nach wesentlich
verschieden von denen der gewerblichen Arbeiter, da bei jenen ein familien-
ähnliches Verhältnis zur Gutsherrschaft und die Gewährung nachbarlicher Hilfe
den von Krankheit Heimgesuchten aushelfe. Diesen Rest von Naturalwirtschaft
zu beseitigen, sei nicht wohlgethan. Aeußerst schwierig würde es auch sein, die
notwendige Begrenzung des Zwanges und die Kontrolle zu seiner Durchführung
zweckmäßig zu organisiren.
Was endlich das System, mittelst dessen dieser Kassenzwang durchzuführen
sei, betreffe, so sei dabei zu beachten, daß es sich zumeist um die zahlreichen,