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Die Einleitung, mit welcher die Tarifreform dem Zollbundesrat vor-
gelegt wurde, schien das zollpolitische Programm des damaligen Finanz-
ministers überhaupt näher zu bezeichnen. Nach Hinweis auf das Bedürfnis,
die schon früher angestrebten Zollerleichterungen und die Vereinfachung des
Tarifs auch jetzt wieder zu verfolgen, war gesagt, wie das finanzielle Interesse
der Vereinsregierungen dringend gebiete, neben der Vereinfachung des Tarifs
auch die Kräftigung der finanziellen Grundlage des gesamten Tarifsystems im
Auge zu behalten und daher mit Zollermäßigungen und Zollbefreiungen gegen-
wärtig nicht vorzugehen, wenn nicht gleichzeitig eine Zollerhöhung innerhalb des
Kreises der bisher im Verhältnis zu anderen Tarifen mäßig belasteten Finanz-
artikel eintrete, welche für die durch die Tariferleichterungen der jüngsten Ver-
einsperiode herbeigeführten Zollausfälle eine allgemeine Deckung in Aussicht
stelle. Mit-' Rücksicht hierauf, und da nicht zu erwarten sei, daß das Zollparla-
ment der bereits zweimal abgelehnten Wiedereinführung eines Petroleumzolles
nunmehr seine Zustimmung geben werde, empfehle es sich, die Tarifreform-
vorlage zwar auch in der diesjährigen Session des Zollparlaments wieder auf-
zunehmen, jedoch die Deckung der Ausfälle durch eine Zollerhöhung bei einem
Artikel in Vorschlag zu bringen, welcher den speziell gegen den Petroleumzoll
hervorgehobenen Einwänden nicht unterliege. Als ein solcher Artikel stelle sich
der Kaffee dar u. s. w.
Im Plenum des Bundesrats wurde die Tarifvorlage mit allen gegen
die Stimmen Württembergs und Hamburgs angenommen. In der vorigen
Session hatten Württemberg und Hessen gegen die ganze Vorlage gestimmt,
nachdem die Anträge wegen Wegfall der Reis= und Eisenzollermäßigungen ab-
gelehnt worden waren. Hessen schien sich mit der Zollermäßigung ausgesöhnt
zu haben, nicht so Württemberg, obgleich die Zollermäßigung für ganz grobe
Eisenwaren nicht wieder vorgeschlagen worden war. Was die Abstimmung
Hamburgs betraf, so kann man nur vermuten, daß für dieselbe die Erhöhung
des Kaffeezolles maßgebend war. Zu einem auf die Geschäftsordnung bezüg-
lichen Intermezzo gab der Antrag des Freiherrn v. Spitzemberg Veranlassung,
die Abstimmung über die sächsischen Anträge (Chemikalien, Lumpen) auszusetzen,
indem er namens der württembergischen Regierung Verwahrung dagegen ein-
legen zu müssen erklärte, daß Anträge von so großer Wichtigkeit nicht früh-
zeitiger und rechtzeitiger eingebracht würden. 1)
1) Auch bei Beratung des Gesetzentwurfs, betreffend die Besteuerung des Stärkesyrups
und Stärkezuckers, erklärte der württembergische Bevollmächtigte, Ober-Finanzrat Riecke,
welchem durch das späte Einbringen dieser Vorlage die Einholung der Instruktion von
seiner Regierung unmöglich geworden war: er glaube im Interesse einer gründlichen
Prüfung der Sachen eine rechtzeitigere Einbringung der Vorlagen in künftigen Fällen
wünschen zu müssen. Der Staatsminister Delbrück erkannte den vorstehend geäußerten
Wunsch als begründet an und bemerkte, daß im vorliegenden Falle die Verzögerung in
Umständen ihre Veranlassung gehabt habe, welche abzuwenden nicht angänglich gewesen sei.