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Bei einer Besprechung im Schoße des Bundesrats, welche Haltung bei
der am 6. Mai 1870 bevorstehenden Beratung des Gesetzentwurfs im Plenum
des Zollparlaments einzunehmen sein werde, war die Versammlung auf den
Vortrag Delbrücks und Camphausens (Bismarck war nicht anwesend) in ihrer
überwiegenden Mehrheit damit einverstanden, die Amendements des Freiherrn
v. Patow und Genossen (Nr. 27 Ziffer I der Drucksachen des Zollparlaments)
für annehmbar zu erklären, das Amendement des Freiherrn v. Hoverbeck (Zoll-
freiheit von Roheisen aller Art) dagegen entschieden abzulehnen.
Die Gefahr eines drittmaligen Scheiterns der Tarifvorlage wurde durch
einen Ausgleich schließlich beseitigt, dessen hauptsächlichste Grundlage die Herab-
setzung der Eisenzölle, die Gewährung eines längeren Zollschutzes für die Baum-
wollenindustrie und die Herabsetzung des Reiszolls war. Die Bundesregierungen
erteilten diesen Vorschlägen, durch welche in ihrer Gesamtheit die Zolleinnahmen
wenigstens nicht verringert wurden, ihre Zustimmung, in der Ueberzeugung,
daß es vor allem darauf ankomme, die in Rede stehende Zollreform überhaupt
zu einem Abschluß zu bringen. Gesetz vom 17. Mai 1870, betreffend die Ab-
änderung des Vereinszolltarifs vom 1. Juli 1865 (Bundes-Gesetzbl. S. 123).
In Beziehung auf den vom Zollparlament angenommenen Antrag wegen
Beteiligung auch der süddeutschen Staaten an der Münzengquete des Nord-
deutschen Bundes beschränkte sich das Bundeskanzler-Amt darauf, daß den
Zollvereinsregierungen seitens des Zollbundesrats mittelst Protokollauszugs Mit-
teilung von dem bezüglichen Beschlusse des Zollparlaments gemacht wurde, in
der stillschweigenden Erwartung, daß die süddeutschen Regierungen diese Mit-
teilung ihrerseits mit Vorschlägen beantworten würden.
Da am 23. Mai 1870 die letzte Sitzung des Zollbundesrats stattfand,
die erste Sitzung des Bundesrats des Deutschen Reichs aber erst am 20. Februar
1871 folgte, so mußte Vorsorge getroffen werden, daß die der Beschlußfassung
des Zollbundesrats unterliegenden Gegenstände, welche eine dringende Erledigung
erheischten, nicht liegen blieben. Die betreffenden Fragen wurden von den Zoll-
vereinsregierungen im Korrespondenzwege erledigt. 1) Nach dem Zusammentritt
des deutschen Bundesrats wurde demselben von dem Geschehenen Kenntnis gegeben.
1) Da ich, wie bereits früher bemerkt, bei diesem Werk um die Ermächtigung, die
Akten des Zollbundesrats benutzen zu dürfen, nicht nachgesucht habe, so muß dieser Teil
der Thätigkeit des Bundesrats ausfallen. Daß er sich auf bedeutsame Fragen erstreckt
hat, ist nicht anzunehmen.