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freudigem Schaffen sich zu bewähren, ist eine nicht zu leugnende Thatsache. In
Deutschland genügt es eben nicht — wie unter Bezugnahme auf unser Ver—
hältnis ganz richtig einmal bemerkt worden ist —, den Zopf ein für allemal
abzuschneiden, er wächst mit ziemlicher Regelmäßigkeit wieder nach; er muß fort—
während unter der Schere gehalten werden.
Für die Zeit des Deutschen Reichs fehlt leider die authentische Quelle der
Bundesratsdrucksachen und -Protokolle, die uns für die Verhandlungen des
Zollbundesrats in der Reichstagsbibliothek zur Verfügung stand. Es ist bereits
früher erwähnt, daß die Gesuche der Bibliothek um Ueberlassung eines voll-
ständigen Exemplars der Bundesratsverhandlungen abschlägig beschieden werden
mußten. Ein schwacher Ersatz wurde gleichwohl bewilligt, indem der Reichstags-
bibliothek bis auf die neueste Zeit wenigstens gewisse, Zoll= und Steuersachen
betreffende Bundesratsverhandlungen überwiesen wurden. So ist daselbst wenig-
stens für diese Verhandlungen seit 1868 die Kontinuität hergestellt.!)
Die Geschichte der ersten neun Jahre des Bundesrats weist eine ruhige
Entwicklung auf; es fehlte an eigentlichen Kämpfen und an Momenten, welche
die Versammlung gewissermaßen in zwei feindliche Lager spaltete. Erst 1879
mit der Entrollung der wirtschaftlichen Fragen begannen auch im Bundesrat
die Geister auf einander zu platzen, aber doch lange nicht mit der Schärfe wie
im Reichstag, weil die Bevollmächtigten zum Bundesrat bei der Abstimmung
nicht ihre Interessen oder Lehrmeinungen, sondern nur die Ansichten ihrer Re-
gierungen vertreten, ohne die Aussicht, andere Stimmen für sich zu gewinnen,
und in den Formen, welche von den im Parlament üblichen weit abweichen.
1) Mit Ausnahme des Jahrgangs 1871, welcher fehlt.