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würde, wenn die Sache an den Bundesrat zurückkäme, den übrigen Regie—
rungen nicht Wort zu halten, und das Vertrauen auf das künftige Verhalten
Preußens wiegt meines Erachtens schwerer als die Frage, welche hier zur Sprache
kommt.“
In der Presse wurde insbesondere das tiefe Amtsgeheimnis bekrittelt, in
das sich der Bundesrat 1) zu hüllen beliebte: Die Oeffentlichkeit sei, so argu-
mentirte die „National-Ztg.“ in der Nr. 196 vom 27. April 187 1, die allein
gesunde Luft für parlamentarische Verhandlungen, nur mit der Oeffentlichkeit
lasse sich das Zutrauen erwerben, nur durch sie die Grundlage für fruchtbare
Verhandlungen schaffen. „Das Geheimnis des Bundesrats erstreckte sich sogar
auf die Vorlagen, Anträge und Beschlüsse; öffentlich werden nur die letzten
Redaktionen, und der Bundesrat gibt sich das Ansehen einer einheitlichen Re-
gierung. Nur wenige sind durch den Umgang mit freimütigen Bundesräten
begünstigt, sonst gelangen nur auf offiziösem Wege halbe und ungenaue Nach-
richten an das Publikum, was die Wohlthat der Oeffentlichkeit keineswegs ersetzt.
Der Bundesrat treibt mehr Geheimniskrämerei, als der Bundestag in den letzten
Jahren seines Bestehens dies gethan. Die Verfassung gestattet den Regierungen,
welche in der Minderheit geblieben, ihre abweichende Ansicht zu vertreten, aber
auch von diesem Rechte ist, mit Ausnahme von einem oder einigen wenigen
Fällen, im Norddeutschen Bunde kein Gebrauch gemacht worden. Diese
Geheimniskrämerei ist an sich schädlich und nimmt jedenfalls dem Bundesrate
den Wert, ein Oberhaus zu ersetzen. Wenn Fürst Bismarck an derartiges denkt,
so sollte er dem Bundesrat vor allem die erste Voraussetzung: Oeffentlichkeit,
verschaffen."
In einem fernern Artikel (Nr. 502 vom 26. Oktober 187 1) stellte das-
selbe Blatt die Theorie auf, daß, „soweit der Bundesrat gesetzgebender
Faktor ist", er dem Reichstage nicht übergeordnet, sondern koordinirt sei. 2)
Daraus wurde weiter gefolgert, wie unziemlich es sei, daß der Reichstag in zwei
kürzlich beschlossenen wichtigen Fragen nicht einer Mitteilung darüber gewürdigt
worden sei, welche Stellung der Bundesrat dazu eingenommen habe. „Der
Reichstag faßt seine Beschlüsse nicht ad usum Delphini, sondern in Erwartung
des Beitritts des andern Faktors, und es erfordert schon das Gebot der Schick-
lichkeit, daß dieser andere Faktor sich über den Beitritt erklärt. Die Protokolle
des Bundesrats, welche an Dürftigkeit die früher veröffentlichten des 1866
verblichenen Namensvetters noch weit übertreffen, geben in dieser Beziehung gar
1) Hinsichtlich der Publikation der elsaß-lothringischen Bundesratsverhandlungen wurde
es nicht anders gehalten als bezüglich jener des Deutschen Bundesrats. Die Mitteilungen
über den Verlauf der einzelnen Sitzungen des Bundesrats für Elsaß-Lothringen waren
aber entschieden noch dürftiger als die des Bundesrats des Reichs.
2) Weiter ausgeführt und gegenüber verschiedenen Angriffen verteidigt wird dieser
Satz in der „National-Zeitung“ Nr. 511 vom 1. November 1871.