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welchen Maßregeln er ganz unbeteiligt war und zu welchen er den Minister
Dr. Falk gedrängt hat, läßt sich — solange die betreffende amtliche Korre-
spondenz noch nicht veröffentlicht ist — nicht entscheiden. 1) Nur so viel kann
man sagen, daß die bisherigen Auffassungen hierüber als sehr schiefe bezeichnet
werden müssen. Bismarck selbst hat sich über seinen Anteil an den Kultur-
kampfgesetzen wiederholt geäußert, am schärfsten in der Reichstagssitzung vom
3. Dezember 1884, 2) wo derselbe bemerkte: „Ich war, als die Maigesetze ent-
standen, gar nicht in Berlin anwesend, ich war nicht Ministerpräsident, Sie
werden finden, daß unter den Gesetzen meine Unterschrift ex post erfolgte.
Sie steht hinter der des Ministerpräsidenten Grafen Roon, er steht als Minister-
präsident unterschrieben, und meine Unterschrift wurde von mir zum Teil unter
dem Druck der Kabinetsfrage verlangt. Es gilt dies auch von dem Zivilstands-
gesetze, welches mir am meisten gegen den Strich ging, das ich notgedrungen
unterschreiben mußte; 3) ich selbst war krank, mehrere Minister waren bereit,
abzugehen, und ich war nicht im stande, sie zu ersetzen. Ich war auch nicht
geneigt, den Kampf überhaupt aufzugeben. Ich kann nicht leugnen, daß ich
über die Details, über die juristische Ausführung der Gesetze verwundert und
nicht angenehm überrascht war, aber ich mußte die Gesetze nachher nehmen, wie
ich sie fand. Etwas anderes sind die Junigesetze von 1875, die ein paar
Jahre später erlassen wurden. Bei diesen bin ich vollständig beteiligt gewesen
und übernahm die volle Verantwortung für die Verfassungsänderung, zu der
ich meine damaligen Kollegen, die vor dem Worte „Verfassung“ eine Schen
empfanden, die über meine damalige Empfindung hinausging, nur schwer be-
wegen konnte; namentlich mein damaliger Kollege Dr. Falk machte am längsten
Opposition gegen alles, was Verfassungsänderung hieß."“
In demselben Sinne schrieb die „Norddeutsche Allgemeine Zeitung“: „Später
ist allerdings Fürst Bismarck für die Ziele der Falkschen Gesetze eingetreten.
Nachdem die Maigesetze, hervorgegangen aus der Initiative des Ministers Falk,
von dem Staatsministerium acceptirt worden waren, blieb nur die Alternative
übrig zwischen einem Ministerwechsel und einem einmütigen Vorgehen der
Minister.“ Sicherlich ist angesichts der dokumentarisch bewiesenen Thatsachen
die zur Abwehr eigener Schuld in der Zentrumspresse verbreitete Behauptung,
daß der preußische Kulturkampf in dem vatikanischen Konzil seinen Ausgang
1) Majunke (Geschichte des Kulturkampfes) schiebt Bismarck die Initiative zu bezüglich
der Aufbebung der katholischen Abteilung, ferner bezüglich des Schulaufsichtsgesetzes und
des Jesuitengesetzes. Dagegen spricht er ihn frei bezüglich des Lutzschen Strafparagraphen
und des Zivilehegesetzes, das Bismarck „aus Fürsorge für die protestantische Kirche“ nicht
haben wollte. Mit der Feder hat Bismarck den Kampf geführt in dem Streit mit dem
Bischof von Ermeland (S. 282). Vergl. über die ganze Frage auch „Unsere Minister seit
1862“ S. 101.
2) Kohl, Bismarckreden Bd. X. S. 307.
3) Bismarcks Reichstagsrede vom 30. November 1881 (Kohl, Bd. IX. S. 172).