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nicht im Sinne und man merkte aus der ganzen Anlage seiner Rede, daß er
ganz anderswohin ziele. Plötzlich wandte er sich direlt an die Fürstin Bismarck,
welche mit leuchtenden Augen und reizender Schalkheit bei all dem Guten und
Schönen, was Herr v. Mittnacht an ihr zu rühmen wußte, ihre Blicke auf den
etwas entfernt stehenden Fürsten fallen ließ, der alles, was Herr v. Mittnacht
von seiner Gattin behauptete, durch behagliches Kopfnicken beglaubigte. Nicht
die Fürstenwürde, die sie schmücke, wäre es, nach welcher das deutsche Volk
ihren Wert bemesse, dieses verehre in der Fürstin die Frau von einfachem,
schlichtem Sinn, die Stütze und Freude des Mannes, das Muster einer deutschen
Hausfrau. Als Herr v. Mittnacht in seiner Rede so weit gekommen war,
wußte sich Fürst Bismarck in unauffälliger Weise seiner Gemahlin zu nähern
und gab ihr vor allen Anwesenden — einen herzhaften Kuß auf die Wange!
Dies kam so unverhofft und, war so echt herzlich und menschlich, daß die Ver—
sammlung ganz darüber vergaß, daß sie beim Kanzler des Deutschen Reichs
war, und im Ausbruche menschlichen Vergnügens über den Kuß „Bravo! Bravo!“
rief und fröhlich in die Hände klatschte.
Mittnacht war Bundesrats-Referent unter anderem über den Gesetzentwurf,
betreffend die Vereinigung von Elsaß-Lothringen mit dem Deutschen Reich (1871)
und den Reichstagsbeschluß wegen Abänderung der Ziff. 13 des Art. 4 der
Reichsverfassung (1872), über die Strafprozeßordnung (1874), und hat derselbe
überhaupt an allen Beratungen und Anträgen des Ausschusses für Justizwesen,
zum Gerichtsverfassungsgesetz, zur Strafprozeß-, Zivilprozeß- und Konkursordnung
te ilgenommen. Als Referent zur Strafprozeßordnung war Mittnacht für die
Beibehaltung der Schwurgerichte thätig. Endlich war Mittnacht 1880 Referent
in Betreff der Revision der Geschäftsordnung des Bundesrats.'),
Von großem Interesse waren die Bemerkungen, welche v. Mittnacht in der
Sitzung des Reichstags vom 29. Mai 1872 über die Stellung des Bundesrats
zu dem Laskerschen Antrage, betreffend die Ausdehnung der Bundesgesetzgebung
auf das gesamte bürgerliche Recht, gemacht hat. Herr v. Mittnacht sagte: „Die
süddeutschen Regierungen wissen aus Zeitungen und aus einer Etatsposition,
daß zufolge eines Beschlusses des Norddeutschen Bundesrats Gesetzentwürfe
über den Strafprozeß, über die Gerichtsorganisation und den Konkurs, glaube
ich, u. s. w. im königlich preußischen Justizministerium vorbereitet werden.
(Hört, hört!) Nun erlauben Sie mir, es offen zu sagen, es muß bei diesem
Anlasse gesagt werden (sehr gut! links): Wenn nach vielleicht jahrelanger Vor-
bereitung ein von den Rechtsverständigen eines Staates festgestellter Gesetzentwurf
zum Vorschein kommt, und wenn er, wie vorauszusetzen ist, noch so vortrefflich
ist, wie glauben Sie dann, daß die übrigen Bundesregierungen noch einen
großen Einfluß auf die Gestaltung dieses Gesetzgebungswerkes geltend machen
1) Vgl. Schultheß „Europäischer Geschichtskalender“ 1880, S. 102, 103 ff., 119.