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Als der hessische Gesandte Hofmann in der Sitzung des Zollparlaments
vom 18. Mai 1868 eine von Bismarck verschiedene Ansicht über die Kompetenz
des Zollparlaments in Fragen der inneren Besteuerung in Hessen äußerte, nahm
ihm Bismarck das oppositionelle Auftreten an sich nicht übel. „Nur dies“ —
so sagte er ihm nach der Sitzung — „war unrecht, daß Sie die Kompetenz-
frage bestritten. In öffentlicher Versammlung bestreitet man nicht die Kompetenz.“"
Ein Auftreten eines Bevollmächtigten zum Bundesrat wie dasjenige Mitt-
nachts in Fragen, in denen er selbst noch nicht entschiedene Stellung genommen
hatte,!) konnte also Bismarck nur sympathisch berühren, und in der That ist er
derjenige, der mit Bismarck am besten zu verkehren verstand. Kein anderes
Mitglied des Bundesrats darf sich rühmen, bei Bismarck ein so freies Wort
gehabt zu haben als Mittnacht. In vielen Fragen drang aber auch er nicht
durch, beispielsweise als es sich darum handelte, das Schicksal von Elsaß-
Lothringen zu entscheiden. Mittnacht sprach sich Bismarck gegenüber dahin aus,
es sei das Beste, die neu erworbenen Länder mit Preußen zu vereinigen.
Welche Gründe dafür ausschlaggebend waren, daß Bismarck diese Lösung
perhorreszirte, mag dahingestellt bleiben. Aber es ist mir erst kürzlich noch von
einem deutschen Staatsmann versichert worden, Mittnacht habe, wenn man
heute nach 25 Jahren zurückblicke, recht gehabt. Die Anschließung der beiden
Provinzen an Deutschland — so meinte jener Staatsmann — wäre so schneller
vor sich gegangen; so, wie es sei, könne es doch nicht bleiben; früher oder
später würde Elsaß-Lothringen doch ein Bundesstaat werden, mit eigener Ver-
tretung im Bundesrat, und schließlich würde doch kaum etwas anderes erübrigen,
als eine Secundogenitur für einen Prinzen des kaiserlichen Hauses zu schaffen.
Zu den Angelegenheiten, bei welchen Mittnacht den Anregungen Bismarcks
nicht zu folgen vermochte, gehörte die Frage der Reichseisenbahnen und die
Befassung der Reichsgesetzgebung mit der Regelung des Güter-Tarifwesens.
Beide Fragen wurden bekanntlich vom Reichskanzler schließlich nicht weiter
verfolgt.
Bei Gelegenheit seines fünfundzwanzigjährigen Ministerjubiläums wurde
Mittnacht durch ein Handschreiben des Kaisers vom 20. April 1892 aus-
gezeichnet, in welchem auch dessen Thätigkeit als Bundesratsmitglied rühmlich
anerkannt wurde.:) Ein ähnliches Handschreiben erhielt Mittnacht unter Ver-
1) Bismarck duldete nur nicht eine Opposition im Bundesrat gegen seine eigenen
Absichten, wenn er davon überzeugt war, daß deren Durchführung für das Wohl des
Reiches unerläßlich sei. (Resorm des Zolltarifs 1879, Hamburger Zollanschluß.)
2) Das vom preußischen Gesandten übergebene Handschreiben des Kaisers hat
solgenden Wortlaut:
„Es ist zu Meiner Kenntnis gelangt, daß am 27. April d. J. der Tag wiederkehrt,
an welchem Sie, Herr Ministerpräsident, vor 25 Jahren von weiland Seiner Majestät
dem hochseligen Könige Karl von Württemberg in das Ministerium berufen worden sind.
Sie haben sich während dieser Zeit, welcher die glorreichsten und folgenschwersten Ereignisse