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Karlsruhe, 19. August 1870.
Abends kam die Nachricht von gestriger Schlacht bei Metz aus dem Haupt-
quartier des Königs in Rezonville. Sieg unter Führung des Königs.
Der Feind auf Metz zurückgeworfen, von der Verbindung mit Paris abgeschnitten.
Ich ging mit A. vor das Schloß, wo einer großen Menschenmenge zuerst von
einem Hauptmann der hier einquartierten Garde-Landwehr, dann von Edelsheim
(neben der auf dem Balkon erschienenen Frau Großherzogin und der Prinzessin
Wilhelm) das Siegestelegramm verlesen wurde.
Hoch! Heil unserm Fürsten, Heil! Die Wacht am Rhein wurde begeistert
gesungen und ein Fackelzug improvisirt. Mein Schwiegervater nahm zwei Land-
wehrleute aus Charlottenburg und Coeslin mit nach Hause, mit denen wir bis
12 Uhr Champagner tranken.
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Samstag, 1. Oktober 1870.
Nachdem die Kunde von der Einnahme Straßburgs gekommen, fuhren
wir dahin, um Bruder Berthold 1) zu besuchen. Es war ein schöner Herbsttag.
Wir sahen die Sonne über den Bergen des Murgthals aufgehen und kleine
Nebelstreifen an den Bergen erleuchten und verscheuchen. Es war ein ergrei-
fender Augenblick, da wir das nun wieder deutsche Straßburger Münster aus
der Ferne erblickten. An allen Stationen war der Andrang sehr groß, ver-
schiedenemale mußten Wagen angehängt werden, so daß der Zug eine beträcht-
liche Länge bekam. Bei Dorf Kehl wurde ausgestiegen, da die Bahn zerstört
war. Wir hatten wohl eine halbe Stunde bis an den Rhein zu gehen und
kamen durch den von französischen Kugeln vollständig zerstörten Stadtteil. Kaum
erheben sich einzelne nackte Wände aus dem allgemeinen Schutthaufen. Auf
beiden Seiten der Straße sieht man durch die Trümmer von vier-, fünffachen
Häuserreihen. Kamine ragen einzeln in die Höhe — manche so übergebogen,
daß man fürchten muß, sie können jeden Augenblick zusammenstürzen. Auch
ein intensiver Brandgeruch macht sich noch sehr unangenehm bemerkbar.
An der Eisenbahnbrücke ist nur der diesseitige Landpfeiler mit darauf
befindlichem beweglichem Teil der Brücke zerstört. Wir überzeugten uns übrigens,
daß die Beschießung von Kehl, das ein kleines Fort an der Brücke hat, von
dem rechts und links drei bis fünf Batterien von Mörsern und gezogenen
Kanonen die Citadelle von Straßburg zusammenschossen, nicht völkerrechts-
widrig war.
Auf dem Strom entwickelte sich ein reges Treiben, viele kleine und große
Kähne ruderten herüber und hinüber, um die Reisenden zu befördern. Wir
warteten auf die Fähre, auf der auch Wagen und Pferde transportirt wurden.
1) Der Bruder des Ministers Freydorf war seit 1. Juli 1870 Kommandeur des
Badischen Feldartillerie-Regiments.