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über heftige neuralgische Schmerzen, an denen er während des ganzen Sommers
bald in heftigen, kaum zu ertragenden Anfällen, teils wieder in niederem
Maße zu leiden gehabt habe und noch leide, und suchte auch die Unter-
haltungen, welche er stehend zu führen hatte, so viel wie möglich abzukürzen.
„Nach der Tafel erging er sich wieder in einer jener ungezwungenen Unter-
haltungen, bei welchen es mitunter nicht leicht ist, zwischen scherzhaft hin-
geworfenen Aeußerungen, Ausflüssen augenblicklicher Verstimmung über un-
erwünschte Vorgänge und ernst zu nehmenden Entschließungen die feste Grenzlinie
zu ziehen, welche aber gerade im gegenwärtigen Augenblick allgemeiner Spannung
doch ein größeres Interesse beanspruchen können, als dies sonst bei Tischreden
der Fall zu sein pflegt. Der Fürst wurde zunächst auf das Thema der
Gambettaschen Reise in Deutschland gebracht und äußerte in dieser Beziehung,
zu einem Besuch in Varzin sei es nicht gekommen. Was Gambetta davon
abgehalten habe, wisse er nicht, einer höflichen Aufnahme hätte er so gut wie
jeder andere bedeutende Mann versichert sein können. Derselbe scheine sich
übrigens allerdings mit dem Gedanken eines Besuches getragen zu haben, da
seine Anwesenheit in Schlave konstatirt sei und der Fürst sonst nicht wisse, was
ein Fremder in jener wüsten Gegend zu suchen haben sollte. Ob Gambetta
durch ein ihm zugegangenes Telegramm oder durch eine eigene Aenderung seiner
Entschließung von der Ausführung abgehalten worden sei, entziehe sich der
Beurteilung. Der Fürst glaube jedenfalls, daß nicht sowohl das Bedürfnis, sich
gegen den Verdacht aggressiver Absichten zu reinigen, oder der Wunsch, militärische
oder Handelsfragen zu studiren, Gambetta in seine Nähe geführt habe, als
vielleicht der Wunsch, mit ihm oder seinem Ratgeber, Herrn Lohmann, über
das Thema des Arbeiterversicherungsgesetzes sich zu unterhalten, da man diesen
von ihm angeregten Ideen in Frankreich augenblicklich mehr Beachtung zu
schenken scheine als in Deutschland.
„Dies bildete die Brücke, um auf die Lage gegenüber den Neuwahlen und
dem neuen Reichstag überzugehen.
„Der Kanzler bemerkte: Die Wahlen hätten ihm gezeigt, daß das deutsche
Volk in seiner Mehrheit von den Reformideen, mit welchen er gehofft habe,
eine vierzigjährige Thätigkeit zu krönen, nichts wissen wolle. Er habe sich das
Ziel gesteckt, die öffentlichen Lasten in einer entsprechenderen und leichter zu
tragenden Weise neu zu regeln und dem bedrohlichen Uebel des Sozialismus
durch Befriedigung der auf einem wahren Gedanken beruhenden Forderungen
seinen Boden zu entziehen.
„Die Wahlen hätten ihm gezeigt, daß die Mehrheit der Nation seine Ge-
danken zurückweise. Es sei gleichgiltig, ob dies wirklich der Ausdruck der
Wünsche der Nation sei, oder ob die Wähler so gestimmt hätten, weil sie den
Agenten des Fortschritts, welche jedenfalls die Kunst des Lügens und des
Verdächtigens offener und erfolgreicher üben könnten, augenblicklich wenigstens
Poschinger, Fürst Bismarck und der Bundesrat. II. 13