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erhob gegen die materiellen Bedenken der Mehrheit Einspruch. Das Obli—
gationenrecht, wurde von ihr geltend gemacht, stehe mit dem übrigen bürger—
lichen Rechte in einer so engen Verbindung, daß ohne Uebergriffe in das letztere
eine gedeihliche Lösung der in Nr. 13 der Reichsgesetzgebung für einzelne Zweige
des Obligationenrechts gestellten Aufgabe nicht möglich sei. Der Antrag gebe
nur der Reichsgesetzgebung die zur Lösung ihrer Aufgaben erforderliche Freiheit
der Bewegung, ohne die besorgten Nachteile praktisch herbeizuführen. Man könnte,
um alle Bedenken zu beseitigen, der Reichsgesetzgebung zum Beispiel zwar die
Zuständigkeit für das bürgerliche Recht im allgemeinen gewähren, von derselben
aber gewisse Rechtsmaterien ausschließen, doch sei auch dies nicht nötig, werde
auch nicht zum Ziele führen. Eine Lahmlegung der Landesgesetzgebung durch
die Ausdehnung der Kompetenz der Reichsgesetzgebung sei nicht zu fürchten.
An eine Kodifikation des bürgerlichen Rechts durch die Landesgesetzgebung sei
bei dem Ausdruck dieser Besorgnis offenbar nicht gedacht, sondern nur an die
Regelung einzelner Rechtsbeziehungen und Materien; an diese werde man aber
im Falle wirklichen und dringenden Bedürfnisses immer gehen können. — Das
Gebiet der Gerichtsorganisation stehe schon jetzt dem Reiche zu, da ohne eine
solche einheitliche Organisation eine gemeinsame Zivilprozeßordnung oder Straf-
prozeßordnung gar nicht geschaffen werden könne. Schon um der Klarstellung
der Frage wegen der Kompetenz willen sei aber auch die Aenderung der Nr. 13,
wo der Gerichtsorganisation nicht gedacht sei, notwendig. Auch das sei nicht
zu befürchten, daß die Reichsgesetzgebung über das für die Lösung ihrer Auf-
gabe nötige Maß hinausgehen werde. Es handle sich hier nicht um abstrakte
Rechtssätze und deren Aenderung, sondern um Beseitigung oder Modifizirung
konkreter Gestaltungen, wie der Gerichtsbehörden, deren große Bedeutung und
weitreichender Zusammenhang mit anderen konkreten Beziehungen des Lebens
die Bürgschaft ausreichender Kraft zum Widerstand gegen unberechtigte Ein-
wirkung der Gesetzgebung gewähre.
Die Angelegenheit kam in dieser Session des Bundesrats nicht mehr zur
Erledigung.
Zivilprozeßordnung. Der Ausschuß für das Justizwesen erstattete
in Betreff der Herstellung des Entwurfs einer Prozeßordnung in bürgerlichen
Rechtsstreitigkeiten einen umfassenden Bericht und knüpfte hieran Anträge, welche
dahin gingen, zur definitiven Feststellung des Entwurfs eine Kommission von
15 Juristen zu berufen, welche vom Bundesrat gewählt werden sollte. In dieser
Kommission sollten die verschiedenen Rechts= und Staatsgebiete möglichst ver-
treten sein, auch der Stand der Rechtsanwälte. 1)
1) „Norddeutsche Allgemeine Zeitung“ Nr. 105 vom 6. Mai 1871 und Nr. 110 vom
12. Mai 1871.