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Bei der Beratung des Bundesrats über die Verwendung der zweiten Rate
der von Frankreich zu entrichtenden Kriegsentschädigung sprach der
bayerische Staatsminister v. Pfretzschner den Wunsch aus, daß den Bundes-
regierungen über den Eingang der von Frankreich noch fernerhin vertragsmäßig
zu leistenden Zahlungen und über das Maß, in welchem die gezahlten Beträge
für diejenigen 5 Gesetze in Anspruch genommen würden, für welche, wie bereits
mitgeteilt, 125 Millionen Franken zu gemeinsamen Ausgaben reservirt werden
sollten, fortlaufende Mitteilung gemacht werden möge. Der Vorsitzende, Minister
Delbrück, sagte die Erfüllung dieses Wunsches zu.
Im Bundesrat stellte sich bald die Ueberzeugung fest, daß die große Vor-
lage über die Grundsätze der Kriegskontributionsverteilung nicht auf einmal
ausgeführt werden könne, und da auch Biemarck es als wünschenswert erklärt
hatte, für jetzt nur die allernächsten Bedürfnisse in das Auge zu fassen und
als solche die Entschädigung der durch Beschießung mitgenommenen Städte in
Deutschland und Elsaß-Lothringen, ferner die Entschädigung der deutschen
Rhederei und endlich die Beihülfen für die aus Frankreich vertriebenen Deutschen
bezeichnet hatte, so entstanden im Bundesrat fünf Gesetzesvorlagen.
1. Betreffs der Entschädigung der deutschen Rhederei erschien die
ursprünglich von dem Kanzler gemachte Anregung 1) den kleineren deutschen Küsten-
staaten nicht weit genug gehend, und so richteten, und zwar bevor die eigentliche
Vorlage des Reichskanzlers an den Bundesrat gelangte, die Vertreter von
Mecklenburg-Schwerin, Oldenburg, Lübeck, Bremen und Hamburg einen ent-
sprechenden Antrag an den Bundesrat. 2) Der Antrag wurde vom Bundesrat den
Ausschüssen für das Seewesen und für das Rechnungswesen überwiesen. Unter
Berücksichtigung desselben arbeiteten diese den Entwurf eines Rhederei-Ent-
schädigungsgesetzes aus und legten ihn unter dem 26. Mai dem Bundesrat
vor, worauf derselbe ihn in der Sitzung vom 27. desselben Monats mit
wenigen stilistischen Aenderungen annahm. Nachdem der Reichstag das Gesetz
in der vom Bundesrat vorgelegten Fassung angenommen hatte (Gesetz vom
14. Juni 1871, Reichs-Gesetzbl. S. 249), wählte der Bundesrat am 9. Juli 1871
die Mitglieder und Stellvertreter der Liquidationskommission.
2. Gesetzentwurf, betreffend die Entschädigung der aus
Frankreich ausgewiesenen Deutschen. Gesetz vom 14. Juni 1871
(Reichs-Gesetzbl. S. 253 f.).
1) Vgl. zum folgenden den Aufsatz von Professor William Lewis in Berlin: „Die
Entschädigung der deutschen Rhederei nach dem deutsch-französischen Kriege“ und die „National-
Zeitung“ Nr. 236 vom 23. Mai 1871, Nr. 248 vom 31. Mai 1871, Nr. 249 vom 31. Mai
1871 und Nr. 331 vom 19. Juli 1871. Der Kanzler hatte mit der Vorlage vom 15. Mai
1871 dem Bundesrat ein Regulativ unterbreitet, worin angedeutet war, wie er sich die
Entschädigung der Rhederei dachte.
2) Wortlaut abgedruckt in dem in der vorigen Note erwähnten Lewisschen Aufsatz.