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entbehrt sie den Vorzug irgend welcher Begründung und steht mit den wirklichen
Verhältnissen in offenkundigem Widerspruch. Zum Ressort des Ministers der
auswärtigen Angelegenheiten in England wie in Rußland und überall sonst in
der Welt gehört alles, was die Staaten nach außen angeht. Die wichtigsten
Beziehungen des preußischen Staates nach außen betreffen seine Stellung zum
Reich. Ihre Pflege bildet die hauptsächliche Obliegenheit des preußischen Ministers
der auswärtigen Angelegenheiten. Wie von ihm die preußischen Gesandten ihre
Weisungen empfangen, so ist es seines Amtes, die preußischen Bevollmächtigten
im Bundesrat des Reichs dahin zu instruiren, in welchem Sinne die Stimmen
Preußens dort abzugeben sind. Das ist vollkommen selbstverständlich. Innerhalb
seines Departements, zu welchem die bezeichnete Funktion unzweifelhaft gehört,
ist der preußische Minister des Auswärtigen nicht mehr, aber auch nicht minder
selbständig wie jeder andere Ressortchef innerhalb seines Bereichs. Diese Selbst-
ständigkeit findet ihre Grenze in denjenigen Fällen, wo das Vorgehen des
einzelnen Ministers in außergewöhnlicher Weise den Staat im ganzen und
großen tangirt. Solche Fälle ergeben sich in allen Ressorts; wenn die Aus-
führung eines Eisenbahnnetzes, also eine Angelegenheit des Handelsministeriums,
in Betracht kommt, können die Staatsinteressen in dem Grade berührt sein,
daß der Handelsminister allein dafür die Verantwortung nicht zu übernehmen
vermag und daher, um schwerem Vorwurf seitens seiner Kollegen vorzubeugen, sich
genötigt erachten wird, diese Frage seines Ressorts im Ministerrate zur Sprache
zu bringen und einen Staatsministerialbeschluß dieserhalb zu veranlassen; ebenso
und aus keinem andern Grunde hat der Minister des Auswärtigen solche Fragen,
wie über Schließung eines Vertrages oder über Krieg und Frieden, dem
Gesamtministerium zur Entscheidung vorzulegen. Daß der preußische Minister
der auswärtigen Angelegenheiten da, wo die Bevollmächtigten zum Bundesrat
Dinge von großer Tragweite, deren Erledigung nicht in der Anwendung vor-
handener gesetzlicher Bestimmungen vorgezeichnet ist, und die auf den preußischen
Staat eine mächtige Rückwirkung üben, die Beratung der von ihm demnächst
zu erteilenden Instruktion im Ministerrat anregt und eine Verständigung mit
seinen Kollegen in Betreff dessen herbeizuführen sucht, was er den Bevoll-
mächtigten dann zur Norm ihres Verhaltens zu machen hat, steht im Einklang
mit seiner den übrigen Ministern ebenbürtigen Amtsstellung. Wäre er oder
ein anderer Ressortchef in seiner eigenen Verwaltung nach der Meinung der
Kollegen zu weit gegangen und hätte Entscheidungen getroffen, die nach Ansicht
der übrigen von einem Beschluß des Gesamtministeriums hätten abhängig
gemacht werden sollen, so würde diese vermeintliche oder wirkliche Eigenmächtigkeit
nicht ohne Folgen bleiben für das fernere Zusammenwirken der Mitglieder des
Staatsministeriums. Aber weder bevorzugt noch benachteiligt im Vergleich mit
den sonstigen Departementschefs ist darin der Minister des Auswärtigen. Und
dies gilt in Preußen unweigerlich für die Befugnisse des letzteren, sein Ressort