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Nachdem der Fürst sich schon mehrmals dahin ausgesprochen, daß mit dem „Ich“
eine persönliche Verantwortung, welche keinem einzelnen Ministerkommissarius
oder Bundesratsmitgliede zustehe, verbunden sei, hielt er es später für erforder—
lich, in einem Schreiben an das Präsidium des Hauses sich darüber aus—
zusprechen, wodurch der betreffende Minister natürlich sehr unangenehm berührt war.
Daß der Fürst seine Meinung über Personen häufig in halblauten Selbst-
gesprächen am Bundesratstische zu erkennen gab, so daß die vor ihm sitzenden
konservativen Mitglieder sie deutlich hörten, ist wohl bekannt. Diese Aeußerungen
wurden dann fleißig kolportirt.
So nannte er einen sehr geschwätzigen Abgeordneten „Infamer krummbeiniger
Judenjunge"“. Bei einer andern Gelegenheit sagte er: „Rührt man den Kerl
an, so springt eine zweistündige Rede heraus“.
Ein sehr hoch stehender Abgeordneter hatte sich, wie man hörte, über die
Einführung der Getreidezölle sehr abfällig geäußert und ihrer Einführung wider-
strebt. Der Fürst äußerte in hörbarem Monologe: „Der Jude braucht mehrere
tausend Wispel Korn für seine Schnapsbrennereien“.
2. Sapern.
Justizminister Dr. v. Fäustlet)
(geboren 28. Dezember 1828, gestorben 17. April 1887).
Nachdem Dr. Fäustle im März 1872 zum Vertreter Bayerns im Bundesrat
ernannt worden war, nahm er in der Folge, da der Minister v. Lutz gerne zu
Hause blieb, an den Verhandlungen in den Bundesratsausschüssen, im Bundesrat
selbst?) sowie späterhin in der Justizkommission des Reichstags und im Reichstag#)
1) Dr. Johann v. Fäustle, geboren zu. Augsburg, katholisch, Besuch des Gymnasiums
zu Augsburg und der Universität zu München. 1857—1858 Assessor bei dem Kreis= und
Stadtgericht zu Augsburg, 1858—1860 Rat am Bezirksgericht Donauwörth, 1860—1862
Assessor am Appellationsgericht zu Neuburg, 1862—1865 Vorstand des Stadtgerichts
München, 1865—1871 Referent im Staatsministerium der Justiz, 21. August 1871 bis
zu seinem Tode Justizminister. Ausführlicher Nekrolog in der „Münchener Allgemeinen
Zeitung“ Nr. 195 vom 26. Mai 1887. Seine gute deutsche Gesinnung bethätigte er bereits
1869 durch Teilnahme an einer Versammlung in Heidelberg, die unter Hölders Vorsitz
den Eintritt der süddeutschen Staaten in den Norddeutschen Bund beriet.
2) Fäustle erstattete Vortrag im Bundesrat in der Sitzung vom 30. Mai 1872 über
die sächsische Ausführungsverordnung zum Strafgesetzbuch; er brachte am 5. Juni 1873
gemeinsam mit dem Freiherrn v. Perglas den Antrag im Bundesrat ein, betreffend die
Einführung des Gesetzes über die privatrechtliche Stellung der Erwerbs= und Wirtschafts-
genossenschaften in Bayern, und war Referent des Gesetzes, betreffend die Einführung der
Verfassung des Deutschen Reichs in Elsaß-Lothringen (Session 1873).
3) Teilnahme Fäustles an den Verhandlungen des Reichstags vom 29. Mai 1872,
betreffend die Abänderung der Nr. 13 des Art. 4 der Reichsverfassung, stenographischer
Bericht S. 601 f. (vgl. dazu die „Augsburger Allgemeine Zeitung“ Nr. 156 vom 4. Juni
1872), an der Sitzung des Reichstags vom 27. März 1874 (Beratung des Antrags
Poschinger, Fürst Bismarck und der Bundesrat. II. 18